
Nordrhein-Westfalen "Ein extrem gefährlicher Trend": Pilotstudie zu Frauenhass im Internet
So gut wie jede Frau, die im Internet unterwegs ist, erlebt Momente des Hasses. In Nachrichten und Kommentaren – und das vor allen Dingen von Männern. Doch woher kommt dieser Frauenhass? Und warum nimmt er offenbar zu?
Musikerin Sarah Connor kennt den Frauenhass im Internet nur zu gut - als Promi-Frau steht sie im Licht der Öffentlichkeit. Sie erlebt den Hass täglich und hat jetzt über ihre Hater einen Song geschrieben, in dem sie beleidigende Kommentare zu ihrer Person auf Social Media zitiert.
Es ist ein Song gegen Hate Speech im Netz und Sarah Connors Weg mit dem Hass umzugehen. Ein wichtiges Thema, denn jeden Tag wird in Deutschland eine Frau getötet - einfach nur, weil sie eine Frau ist.
Viele Strömungen – ein gemeinsames Hierarchiedenken
Die Pilotstudie "Mapping the GerManosphere" ist ein Forschungsprojekt des Exzellenzclusters Contestations of the Liberal Script (SCRIPTS) an der Freien Universität Berlin in Zusammenarbeit mit dem ISD Germany. Die Studie beschäftigt sich mit der Frage danach, wie tief frauenfeindliche Strukturen im Netz verankert sind.
Analysiert werden die wichtigsten Akteure und die digitalen Räume der deutschsprachigen Mannosphäre. Besonders im Hinblick auf ihren Einfluss und ihre Vernetzung. Zu diesem Mannosphäre-Netzwerk gehören verschiedene Strömungen, wie beispielsweise sogenannte Incels (involuntary celibates), die Frauen und den Feminismus für ihre Einsamkeit verantwortlich machen, Pick-Up-Artists, die erklären, wie sie erfolgreich Frauen daten und manipulieren oder auch sogenannte "erwachte Männer", die feministische Errungenschaften rückgängig machen wollen.
All diese Strömungen sind miteinander vernetzt. Sie alle vereint ein starres Hierarchiedenken, bei dem Frauen das minderwertige Geschlecht sind.
"Ein extrem gefährlicher Trend"

Sina Laubenstein vom "Institute for Strategic Dialogue"
Sina Laubenstein vom "Institute for Strategic Dialogue" hat die Pilotstudie mit betreut. Sie sagt, dass von solchen Accounts und Bewegungen im Internet eine große Gefahr ausgeht, weil sie "dieses antifeministische, frauenfeindliche Weltbild weiter vorantreiben und auch zu Gewalt aufrufen". Laut ihr bilden diese Gruppen den Unterbau für die Gewalt, mit der Frauen täglich konfrontiert werden - "ein extrem gefährlicher Trend".
Die Pilotstudie soll als Vorstudie dienen und eine Grundlage für weitere Projekte bieten. Die aus der Studie gewonnenen Erkenntnisse sollen letztendlich dabei helfen, die Betroffenen besser unterstützen zu können - durch Handlungsempfehlungen für den Umgang mit geschlechtsbasierter Gewalt im Internet.
Frauenhass als Arbeitsalltag

Tara-Louise Wittwers, Feministische Influencerin
Tara-Louise Wittwers ist täglich mit diesem Frauenhass konfrontiert. Als feministische Influencerin ist ihr Arbeitsplatz das Internet, eben der Ort, an dem sich misogyne Männer zunehmend in Online-Netzwerken organisieren. Das hat die Pilotstudie jetzt erstmalig für den deutschsprachigen Raum dokumentiert.
Auf ihren Social-Accounts beschäftigt sich die Kulturwissenschaftlerin regelmäßig mit toxischer Männlichkeit und kommentiert Videos mit frauenverachtenden Inhalten. Das tut sie meistens sehr ironisch und niedrigschwellig, aber sie kennt und erklärt auch immer wieder ganz wissenschaftlich die Hintergründe. Sie hat es sich zum Job gemacht, dieses frauenfeindliche Weltbild immer wieder vorzuführen, auch wenn sie sich so selbst zur Zielscheibe macht. Täglich bekommt sie Beleidigungen, sogar Morddrohungen. Doch auch diese veröffentlicht sie immer wieder.
Ich hab schon ein dickes Fell. Das muss ich schon sagen, weil ich weiß, dass die meisten dieser Leute einfach nicht zufrieden sind mit sich, mit den Anforderungen an sie und so.
Tara-Louise Wittwers, Influencerin
Wegen ihrer Aufklärungsarbeit hat Tara-Louise Wittwers inzwischen eine riesige Fangemeinde, aber manchmal überrollt sie der Hass trotzdem. Dann, erklärt sie, spielte sie Switch, lese oder unternehme etwas mit Freundinnen. Ansonsten sagt sie: "Heulen hat sich für mich als gut erwiesen". Ihr Wunsch sei es, dass Frauenhass wirklich als Extremismus anerkannt wird.
Delikte im digitalen Raum sind Straftaten
Organisationen wie HateAid bieten jedoch auch professionelle Hilfe bei digitaler Gewalt. Judith Strieder ist Psychologin bei Hate Aid und erklärt, dass es wichtig sei, einen rechtssicheren Screenshot zu machen, auf dem möglichst viele Infos erkennbar sind. Infos hierzu gibt es auch auf der Website von HateAid.
Judith Strieder weist sie darauf hin, dass man Kommentare oder Inhalte auf der jeweiligen Plattform melden kann. Außerdem kann man überlegen, ob man Anzeige erstattet. Denn: Delikte im digitalen Raum, wie Nötigung, üble Nachrede oder Erpressung, sind Straftaten und können juristisch verfolgt werden. Ganz wichtig sei es damit nicht alleine zu bleiben, sagt sie, sondern darüber zu reden.
Auch im neuen Koalitionsvertrag steht unter dem Punkt "Gewaltschutzstrategie": "Gewaltfreiheit ist ein Menschenrecht". Hier ist festgehalten, dass die Umsetzung des Gewalthilfegesetzes eng begleitet werden soll und dass die "Gewaltschutzstrategie des Bundes zu einem Nationalen Aktionsplan" weiterentwickelt werden soll. Durch das Gewalthilfegesetz sollen Frauen, die Gewalt erleben, einen Rechtsanspruch auf Beratung und Schutz haben.
Quellen:
- Interview mit Tara-Louise Wittwers
- Interview mit Sina Laubenstein
- Website des ISD
- Website HateAid
- Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD