Das Kraftwerk Stuttgart-Münster ist von Kohle auf Erdgas umgerüstet worden.

Energiewende Baden-Württemberg Kohlekraftwerk in Stuttgart stellt auf Erdgas um

Stand: 14.04.2025 12:05 Uhr

In Stuttgart ist eines der ersten wasserstofffähigen Gasturbinen-Kraftwerke in Deutschland an den Start gegangen. Statt Kohle wird nun Erdgas verbrannt - später soll auf Wasserstoff umgestellt werden. Ein Vorreiterprojekt?

Das Kraftwerk Stuttgart-Münster ist jetzt umgerüstet - von Kohle auf Erdgas. Nach Angaben des Betreibers Energie Baden-Württemberg (EnBW) ist es damit eins der ersten wasserstofffähigen Gasturbinen-Kraftwerke in ganz Deutschland. Stuttgart macht das laut Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) zu einer der ersten kohlefreien Städte Deutschlands.

Neue Turbinen, neue Heißwasserkessel - weniger CO2

Der Schwerpunkt der Anlage in Stuttgart-Münster liegt weiterhin auf der thermischen Verwertung von Abfällen - also der Müllverbrennung. Dabei werden gleichzeitig Fernwärme und Strom erzeugt. Wenn im Winter die Müllverbrennungsanlage für die Fernwärmeversorgung nicht mehr ausreichte, lieferten bisher drei Kohlekessel.

Nun die Neuerungen: Diese Kohlekessel sind jetzt ersetzt worden; statt Kohle wird Erdgas verbrannt. Außerdem wurden drei Heißwasserkessel installiert, die direkt ins Fernwärmesystem einspeisen können.

Klimafreundlicher und flexibler

Nach Ansicht der EnBW bringt der neugebaute Kraftwerkteil gleich mehrere Vorteile mit sich. Auf der einen Seite entstehen durch die Umstellung von Kohle auf Erdgas weniger klimaschädliche Gase. Nach Angaben von Peter Heydecker, dem Vorstand für Nachhaltige Erzeugungsinfrastruktur der EnBW, realisiert das Unternehmen aktuell die Hälfte aller im Bau befindlichen Gaskraftwerke in Deutschland. "Damit machen wir allein durch den Wechsel von Kohle auf Erdgas die regelbare Erzeugung mit rund 60 Prozent weniger CO2-Emissionen deutlich klimafreundlicher."

Kraftwerk Stuttgart-Münster

Das Kraftwerk Stuttgart-Münster hat die Umstellung von Kohle auf Erdgas hinter sich.

Auf der anderen Seite ist das umgebaute Kraftwerk nach Angaben der EnBW ein wichtiger Baustein beim weiteren Ausbau Erneuerbarer Energien - wie der Windkraft, Wasserkraft oder Solarenergie. Zur Begründung nannte der Betreiber EnBW, die Anlage habe nur eine kurze Anfahrzeit. Damit könne unmittelbar auf Schwankungen im Stromnetz reagiert werden, wenn wetterbedingt nicht ausreichend regenerativ erzeugter Strom im Netz ist.

Die Umstellung auf Erdgas ist nach Plänen der EnBW nur ein Zwischenschritt: Mitte der 2030er Jahre will das Energieunternehmen die Anlage ein zweites Mal umrüsten - auf Wasserstoff. Dieser ist noch klimafreundlicher als Erdgas.

Umstieg auf Erdgas emissionstechnisch Augenwischerei?

Grundsätzlich sei es zwar wichtig, die Kohlekraftwerke durch eine emissionsärmere Art der Stromerzeugung zu ersetzen, glaubt Klimawissenschaftler Niklas Höhne vom New Climate Institute. Doch die große Frage sei, ob man dies mit Gaskraftwerken tun solle. "Wir müssen so schnell wie möglich raus aus den fossilen Brennstoffen. Deswegen sollte man eigentlich nicht den Umweg über Erdgas nehmen", kritisiert Höhne. Stattdessen sei es besser, die Erneuerbaren Energien stärker auszubauen und Gebäude so zu sanieren, dass man auch mit weniger Energie heizen könnte.

Außerdem sei Erdgas zwar weniger CO2-intensiv als Kohle - aber nicht in allen Fällen, ordnet Höhne ein. "Wenn das Erdgas zum Beispiel durch Fracking gewonnen wird, etwa in den USA, und dann über Flüssiggasschiffe nach Deutschland kommt, dann ist auf dem Weg schon sehr viel Gas verloren gegangen." Das könne dazu führen, dass der CO2-Fußabdruck des Erdgases fast so schlimm ist wie der von Kohle. Komme das Erdgas dagegen etwa aus Norwegen über die Pipeline, sei es in der Klimabilanz "etwas besser als Kohle".

Wirklich so schnell regelbar?

Und auch an anderen Vorteilen zweifelt Höhne - etwa an der schnellen Regelbarkeit der Gaskraftwerke, um Flauten der Erneuerbaren auszugleichen, wenn wenig Wind weht oder kaum Sonne scheint. Er ist der Ansicht, dass nicht jedes Gasturbinen-Kraftwerk diese Merkmale erfüllt: zum Beispiel dann nicht, wenn eine Kraft-Wärme-Kopplung besteht. "Sie können nicht ausgeschaltet werden, wenn man Wärme braucht."

Im Fall des Kraftwerks in Stuttgart-Münster sei das anders, erklärt Nils Beeckmann, Leiter des Bereichs Neubauprojekte bei der EnBW. Hier sei es möglich, die einzelnen Komponenten des Kraftwerks - also die Gasturbinen und die Heißwasserkessel - einzeln ein- und auszuschalten. Das sei auch eine Verbesserung in der Flexibilität des Kraftwerkes im Vergleich zu vorher: Mit den Gasturbinen könne man direkt auch Strom produzieren, erklärt Beeckmann. "Mit den Kohlekesseln konnte ich nicht direkt Strom produzieren - diese haben insbesondere die Fernwärme unterstützt."

Umrüstung nicht ganz so einfach

Bei einem anderen Punkt sind sich Höhne und Beeckmann von der EnBW einig: Die Umrüstung von Erdgas auf Wasserstoff sei nicht ganz ohne. Ein solcher Umbau der Turbinen ist laut Höhne in der Theorie zwar möglich - aber nur unter bestimmten Bedingungen. Auf der einen Seite brauche man genügend Wasserstoff. "Und zweitens muss man tatsächlich die Turbine umbauen." Das sei teuer und auch bisher nicht wirklich erprobt, erklärt der Klimaexperte weiter. Hintergrund ist, dass Wasserstoff bei anderen Temperaturen verbrennt als Erdgas.

In diesem Punkt pflichtet ihm auch Beeckmann bei. Dennoch geht er davon aus, dass die Gasturbinen mit einem "überschaubaren Aufwand" umrüstbar seien. Bereits heute könne das neue Gasturbinenkraftwerk in Stuttgart-Münster Wasserstoff mitverbrennen. Zu einer vollständigen Umrüstung sei man mit den Lieferanten der Turbinen bereits im Austausch.

Welche Auswirkungen hat das auf den Preis?

Und dann dürften viele Verbraucher die Frage nach dem Preis umtreiben. Höhne rechnet mit hohen Kosten bei Kraftwerken, die nach dem System an der europäischen Strombörse nur dann eingeschaltet werden, wenn keine kostengünstigeren Erneuerbaren Energien verfügbar sind. Er glaubt: "Ein Kraftwerk, das immer durchläuft, kann natürlich kosteneffizient arbeiten, aber ein Kraftwerk, das nur drei Wochen im Jahr läuft, ist grundsätzlich erst mal sehr teuer."

Mehrkosten befürchtet auch Beeckmann von der EnBW - zumindest perspektivisch. Denn der Stand heute sei, dass Wasserstoff teurer sein werde, als es Erdgas heute ist. Das Energieunternehmen EnBW hofft indes auf die neue Bundesregierung - und auf politische Weichenstellungen, die den Preis etwas regulieren.

Das Kraftwerk von Kohle auf Erdgas und schließlich auf Wasserstoff umzurüsten, ist für Beeckmann aufgrund der hohen Flexibilität und der geringeren CO2-Emissionen dennoch ein Zukunftsmodell.

In einer ersten Version des Artikels hieß es, in Erdgasturbinen werde Gas verbrannt. Das haben wir korrigiert.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen