
Baden-Württemberg Ehrenamtliche zwischen Gemeinschaftsgefühl und Bürokratiefrust
Fast jeder Zweite in Baden-Württemberg engagiert sich ehrenamtlich - das ist bundesweite Spitze. Doch Nachwuchsmangel und Bürokratie machen den Engagierten Sorgen.
Eine Handvoll Ehrenamtlicher und ein schwieriger Fall: Dem Staubsauger ist die Luft ausgegangen. "Schaut mal, wo der Fehler liegt", sagt Thomas Seyfang. Der Rentner hat vor ein paar Jahren zusammen mit einem Bekannten ein "Repair Café" ins Leben gerufen. Im Stadtteilzentrum von Ludwigsburg-Eglosheim bringen ehrenamtliche Helfer einmal im Monat kaputte Mixer, Nähmaschinen oder eben Staubsauger wieder auf Vordermann. Der Lohn: ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee - vor allem aber Dankbarkeit.
Da ist zum Beispiel die Frau, der Thomas Seyfang den Mixer repariert hatte. Später habe sie zu ihm gesagt: "Herr Seyfang, jedes Mal, wenn ich meinen Mixer einschalte, denk ich an Sie", erzählt er mit leuchtenden Augen: "Das geht runter wie Öl." Ein ähnliches Erfolgserlebnis bereitet Seyfangs Mitstreitern heute auch der kaputte Staubsauger: Groß ist die Freude, als sie ihn wieder zum Laufen gebracht haben.
Vom Gartenbauverein bis zur Freiwilligen Feuerwehr
Das "Repair Café" ist für Thomas Seyfang nur eines von vielen Ehrenämtern: Er ist Vorstand im Historischen Verein von Eglosheim, im Schützenverein, im Bürgerverein und im Obst- und Gartenbauverein; er war außerdem im Kirchengemeinderat, war mehr als 40 Jahre aktiv bei der Freiwilligen Feuerwehr und organisiert bis heute alle möglichen Feste und Veranstaltungen.
Das Schöne am Ehrenamt sei für ihn die Gemeinschaft, der Zusammenhalt, sagt er. Aber man müsse auch Zeit mitbringen: Die fehle vielen. Bei einer Veranstaltung am Grill zu stehen, sei nur der kleinste Teil: "Vorplanung, Vorbereiten, Stand aufbauen, danach den Grill wieder putzen", zählt Seyfang auf: "Das bleibt meistens an denselben hängen." Gerade die Jüngeren würden oft nicht so mit anpacken, und die Alten würden irgendwann "aussterben", befürchtet er.
Steuervergünstigung für Ehrenamtliche?
Der 69-Jährige weiß natürlich, dass es für Berufstätige schwieriger ist, sich die Zeit für ein Ehrenamt zu nehmen. Seyfang hat eine Idee, wie die Politik gerade für sie einen Anreiz fürs Ehrenamt schaffen könnte: Wenn man als Ehrenamtlicher einen bestimmten Betrag von seinem Brutto-Einkommen im Hauptberuf bei der Steuer absetzen könne - zum Beispiel 3.000 Euro. Im Studio von „Zur Sache! Baden-Württemberg“ unterstützt Landtagspräsidentin Muhterem Aras den Vorschlag: "Das ist eine geniale Idee", sagt die Grünen-Politikerin.
In Deutschland engagieren sich viele Menschen ehrenamtlich, und nirgendwo sind es so viele wie in Baden-Württemberg: 46 Prozent (Bundesdurchschnitt: 40 Prozent). Doch es gibt Faktoren, die Menschen vom ehrenamtlichen Engagement fernhalten. Thomas Seyfang berichtet von Genehmigungspflichten und Auflagen, die über die Jahre immer mehr geworden sind: "Früher haben wir einfach Schilder aufgestellt", erzählt er mit Blick auf Veranstaltungen, die er mit anderen organisiert hat: "Wenn ich heute was absperre, muss ich das nach einer gewissen Norm durchführen." Das bedeute zusätzlichen Aufwand.
Bürokratische Vorgaben fressen Zeit
Laut baden-württembergischem Kontrollrat, einem mit dem Abbau der Bürokratie beauftragten Expertengremium, muss sich ein typischer, mittelgroßer Verein mit aktivem Vereinsleben rund sechseinhalb Stunden pro Woche um die Erfüllung bürokratischer Vorgaben kümmern. In der repräsentativen Datenerhebung zur organisierten Zivilgesellschaft in Deutschland, der sogenannten ZiviZ-Survey, bewerteten 2023 drei Viertel der befragten Organisationen die Verwaltungstätigkeiten für ihr zentrales Leitungsgremium als besonders zeitintensiv. Viele haben deshalb Schwierigkeiten, Leitungspositionen zu besetzen.
Dazu komme die Verantwortung, sagt Thomas Seyfang: "Wenn irgendetwas passiert, hafte ich als Vorstand mit meinem Privatvermögen." Dieses Risiko wollten sich viele lieber nicht "ans Bein binden". Er findet, die Politik müsste dafür andere Regelungen finden.
Medaillen und Vergünstigungen statt Bürokratieabbau
Doch mit dem von der Politik so oft versprochenen Bürokratieabbau geht es bislang nur schleppend voran, wenn überhaupt. Die Landesregierung bemüht sich zumindest um symbolische Gesten der Wertschätzung für Ehrenamtliche. Anfang dieser Woche hat Innenminister Thomas Strobl (CDU) zum ersten Mal die sogenannte Bevölkerungsschutz-Einsatzmedaille verliehen: an Rettungskräfte, die nach dem starken Unwetter und dem Hochwasser im vergangenen Sommer geholfen hatten - unter ihnen auch viele Ehrenamtliche.
Auf Anregung des Feuerwehrverbandes hat die Landesregierung außerdem die sogenannte Ehrenamtskarte eingeführt, um besonders umfangreiches Engagement wertzuschätzen. Inhaberinnen und Inhaber der Karte erhalten ermäßigten Eintritt in verschiedene Kultur-, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen. Das Land hat dafür gut fünf Millionen Euro bereitgestellt, für die Jahre 2025 und 2026. Bislang gab es die Ehrenamtskarte nur für Engagierte in Freiburg und Ulm sowie im Ostalbkreis und im Landkreis Calw, von nun an wird sie sukzessive in ganz Baden-Württemberg eingeführt.
Könnte ein Pflichtdienst junge Menschen fürs Ehrenamt motivieren?
Eine andere Idee, die immer wieder diskutiert wird: ein verpflichtendes soziales Jahr. Innenminister Strobl ist dafür, dass ein solcher Pflichtdienst wieder eingeführt wird. Junge Erwachsene müssten dann ein Jahr lang im sozialen Bereich mithelfen, also zum Beispiel in einem Pflegeheim oder einer Kita, oder zur Bundeswehr gehen. Als es noch den Zivildienst gab, blieb der eine oder andere Zivi einer Einrichtung danach noch als ehrenamtlicher Helfer erhalten.
Thomas Seyfang setzt trotzdem lieber auf Freiwilligkeit. Er sagt: "Wenn jemand zu etwas gezwungen wird, macht er das nicht mit Herzblut." Und das ist es schließlich, was Seyfang in all seinen Ehrenämtern antreibt.
Sendung am Do., 5.6.2025 20:15 Uhr, Zur Sache Baden-Württemberg, SWR BW