
Vorwurf schwerer sexueller Übergriffe Weinstein-Prozess in New York wird neu aufgerollt
Vor gut einem Jahr überraschte ein Gericht in New York die Welt: Es hob das historische Urteil gegen den früheren Filmmogul Harvey Weinstein wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung auf. Nun wird über die Vorwürfe neu verhandelt.
Hunderte Frauen protestierten lautstark vor dem New Yorker Gerichtsgebäude, als der Prozess gegen Harvey Weinstein 2020 losging. Am Ende wurde der ehemalige Filmproduzent zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt, wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung. Im vergangenen Jahr hat ein Berufungsgericht dieses Urteil kassiert - im Verfahren sollen Fehler gemacht worden sein.
"Sie haben Frauen erlaubt auszusagen, die nicht Teil der Anklage waren. Das Berufungsgericht fand das nicht fair - und jetzt gibt es ein Wiederaufnahmeverfahren", erklärt Annemarie McAvoy. Sie ist ehemalige Staatsanwältin und unterrichtet Strafrecht an der Columbia University in New York.
Entsetzen in der MeToo-Bewegung
Die Aufhebung der Verurteilung schockierte viele MeToo-Unterstützer. Denn der Weinstein-Fall gilt als Auslöser der Bewegung - gegen männlichen Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe.
Es war wirklich der erste große Fall, der als Beispiel diente. Wenn Weinstein diesmal nicht verurteilt werden würde, wäre das ein Zeichen dafür, dass die MeToo-Bewegung nicht mehr existiert oder zumindest nicht mehr so stark ist, wie sie mal war, als er vor Jahren zum ersten Mal verurteilt wurde.
Die Aktivistin Tarana Burke gilt als Erfinderin des Slogans "MeToo". Dass das Urteil vor einem Jahr wegen Verfahrensfehlern gekippt wurde, sieht sie nicht als generellen Rückschlag für ihre Bewegung: "Ich möchte ganz klar sagen: Diese Entscheidung bedeutet, dass es eine Bewegung gibt. Vor zehn Jahren hätten wir einen Mann, der so mächtig war wie Weinstein, niemals in einen Gerichtssaal bekommen. Das ist kein Schlag gegen die Bewegung."
Dritter Fall jetzt Teil der Klage
In der Neuauflage des Verfahrens müssen die beiden Hauptzeuginnen erneut aussagen: eine Schauspielerin, die Weinstein Vergewaltigung vorwirft, und eine Produktionsassistentin, die von ihm zum Oralsex gezwungen worden sein soll. Zusätzlich wurde ein dritter Fall in die Klage mit aufgenommen.
Weinstein selbst behauptet, dass die sexuellen Kontakte einvernehmlich gewesen seien. Trotzdem liege hier kein Fall von Aussage gegen Aussage vor, sagt Juristin McAvoy: "Es ist seine Aussage gegen die von drei Frauen. Dass mehrere Frauen ähnliche Vorwürfe erheben, hilft der Staatsanwaltschaft ohne Zweifel."
Weinstein gesundheitlich angeschlagen
Das Urteil könnte diesmal allerdings etwas milder ausfallen, vermutet McAvoy. Zum einen, weil der Druck der Öffentlichkeit nicht mehr so groß sei, aber auch, weil Weinstein gesundheitlich angeschlagen ist. "Er sieht gebrechlich und krank aus. Das könnte die Geschworenen unterbewusst beeinflussen. Sie könnten Mitleid für ihn empfinden." Er sei nicht mehr derselbe und habe einige Jahre im Gefängnis verbracht. "Vielleicht glauben manche, dass er schon genug gelitten hat - das alles kann die Geschworenen beeinflussen."
Ob Harvey Weinstein schon direkt zu Beginn des Prozesses bei der Auswahl der Geschworenen dabei sein wird, ist nicht klar. Mit seinem Erscheinen wird in den nächsten Wochen aber gerechnet. Und egal wie der neu aufgerollte Prozess ausgeht - Weinstein wird so schnell nicht auf freien Fuß kommen. Denn in einem anderen Verfahren in Los Angeles wurde er wegen ähnlicher Vorwürfe zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt.