Teilnehmer einer Demonstration für mehr Klimaschutz in Schwerin (Archivbild)

Psychologie Die stille Klimaschutz-Mehrheit 

Stand: 04.05.2025 04:31 Uhr

Menschen unterschätzen systematisch die Bereitschaft anderer, aktiv zum Klimaschutz beizutragen und das Thema ernst zu nehmen. Das zeigen aktuelle weltweite Studien. Wie kommt das?

Von Judith Kösters, hr

Wo hakt es beim Klimaschutz? Warum bloß kommt die Menschheit bei diesem existenziellen Thema viel zu langsam voran? Das ist möglicherweise die zentrale Frage unseres Jahrhunderts. Andersherum formuliert: Die Antwort auf die Frage könnte der entscheidende Schlüssel zur Lösung sein. 

An einem möglicherweise zentralen Puzzlestück dieser Antwort forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von den Universitäten Bonn und Frankfurt. Das Phänomen, um das es ihnen geht, heißt "pluralistische Ignoranz". Übersetzt: Der Eindruck, in der Minderheit zu sein, wenn man tatsächlich in der Mehrheit ist.

Verzerrte Wahrnehmung der Mehrheitsmeinung

2024 haben die Forscherinnen und Forscher ihre Studie dazu in der Fachzeitschrift "Nature Climate Change" veröffentlicht. Für die Studie haben sie knapp 130.000 Menschen in 125 Ländern befragen lassen und haben ihnen folgende zwei Fragen gestellt: 

  1. Wären Sie bereit, jeden Monat ein Prozent Ihres Einkommens für den Kampf gegen die Erderwärmung herzugeben? 
  2. Was schätzen Sie, von 100 befragten Menschen in Ihrem Land: Wie viele geben an, dass sie dazu bereit sind?

Das Ergebnis: 69 Prozent der Menschen weltweit antworten, dass sie bereit wären, einen Teil ihres Einkommens für den Klimaschutz herzugeben. Und sie schätzen den Anteil der Mitmenschen, die dazu bereit wären, im Schnitt auf 43 Prozent.

Anders ausgedrückt: Mehr als zwei Drittel sind nach eigenen Angaben bereit, den Kampf gegen die Klimaerwärmung mitzutragen - gehen aber davon aus, dass insgesamt deutlich weniger als die Hälfte der Menschen dazu bereit sind. Eine Fehleinschätzung um ganze 26 Prozentpunkte. 

Fehleinschätzung im globalen Maßstab

Dass es das Phänomen "pluralistische Ignoranz" gibt, das wissen Forschende schon länger. Aber dass sich der Effekt mit Blick auf die Bereitschaft zum Klimaschutz so stark und in globalem Maßstab nachweisen lassen würde - das habe ihn dann doch selbst überrascht, sagt der Frankfurter Verhaltensökonom und einer der Studienautoren Peter Andre. 

Umso bedeutsamer wird diese Fehleinschätzung im globalen Maßstab, wenn man sich vor Augen führt: Menschen richten ihr tatsächliches Verhalten stark danach aus, was andere Menschen - wirklich oder vermeintlich - von ihnen erwarten. Auch das ist ein bekannter Effekt in der Psychologie. "Was wir hören und sehen, ist, dass wir beim Klimaschutz faktisch zurückliegen", sagt Peter Andre. "Und da liegt der Trugschluss nahe, dass das Thema anderen weniger wichtig ist als uns." 

Wörtlich schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrem Fachartikel: "Wir dokumentieren hiermit, dass sich die Welt in einem Zustand pluralistischer Ignoranz befindet. Der einzelne Mensch unterschätzt systematisch die Bereitschaft der anderen zum Handeln." 

Weg vom "Ob", hin zum "Was"

Aber was heißt das? Die gute Nachricht ist vermutlich: Wer sich mit der Thematik auseinandersetzt, hat den wichtigsten Schritt schon unternommen. Wenn man sich den menschlichen Hang zur pessimistischen Klima-Fehleinschätzung vor Augen führt, kann man auch bewusster damit umgehen. 

"Wir sollten anerkennen, dass wir in einer Welt leben, in der viele bereit sind, etwas zu tun", meint Verhaltensökonom Andre. Allein das könne die Debatte in Sachen Klima einen großen Schritt voran bringen, weg von der Frage 'Sind wir bereit, etwas zu tun?' hin zum 'Was?'"

Mehr Zustimmung in Entwicklungsländern

Noch höher sind die Zustimmungsraten in Sachen Klimaschutz weltweit übrigens bei der Frage: "Sollte die Regierung Ihres Landes mehr für den Klimaschutz tun: Ja oder Nein?" Auch die Antworten darauf haben Peter Andre und Kollegen weltweit ausgewertet. Ergebnis: 89 Prozent der Menschen wünschen sich mehr Klimaschutz von ihrer Regierung - wobei die Zustimmung in Entwicklungsländern noch stärker ist als in Industrieländern. Außerdem liegt sie erkennbar höher in Ländern, die stark von den Folgen des Klimawandels betroffen ist.

Zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen in Zusammenarbeit mit der Universität Oxford, die ebenfalls 2024 veröffentlicht wurde. Hier kommen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf 80 Prozent Zustimmung zum Klimaschutz weltweit. In Deutschland liegen die Zustimmungsraten in beiden Studien leicht darunter. 

Zustimmung zu Klimaschutz seit Jahren stabil

Zur aktuellen Klima-Stimmung in Deutschland scheinen diese Zahlen auf den ersten Blick nicht ganz zu passen. Tatsächlich haben Meinungsumfragen rund um die Bundestagswahl gezeigt, dass das Thema Klima aus Sicht der Bundesbürger auf der politischen Prioritätenliste nach unten gerückt ist. 

Aber: "Im Großen und Ganzen bleibt Klima für die Menschen in Deutschland ganz klar ein wichtiges Thema", erklärt Kevin Tiede von der Universität Erfurt. Er gehört zum Wissenschaftler-Team hinter der so genannten PACE-Studie, die zwei Mal jährlich eine repräsentative Stichprobe der Deutschen zu Klimathemen nimmt.

Daraus, dass die Deutschen andere Themen wie Krieg oder Inflation auf der politischen Prioritätenliste aktuell weiter oben sehen, könne man also nicht schließen, dass ihnen die Klimaerwärmung egal wäre. Im Gegenteil: Die Zustimmung zum Klimaschutz sei in den vergangenen Jahre insgesamt sehr stabil gewesen. 

Zu wenig Forschung zu politischen Maßnahmen

Eines findet Kevin Tiede allerdings problematisch: Insgesamt habe sich die Klima-Diskussion in den vergangenen Jahren viel zu sehr auf individuelle Maßnahmen und Verhaltensweisen fokussiert und Klima zum persönlichen moralischen Thema gemacht - mit Fragen wie: "Muss ich weniger Fleisch essen?" oder "Darf ich nicht mehr fliegen?" 

Nicht nur die Berichterstattung in den Medien und die öffentliche Diskussion hätten sich in der Vergangenheit zu stark auf individuelle Klimaschutz-Maßnahmen konzentriert, fügt er selbstkritisch hinzu. Auch in seinem Fachgebiet, der Verhaltensforschung, habe man sich zu stark aufs individuelle Verhalten fokussiert - statt mehr zur Akzeptanz von großen politischen Maßnahmen im Kampf gegen die Klimaerwärmung zu forschen. 

Möglicherweise hat auch das mit zu der oben beschriebenen psychologischen Fehleinschätzung in Sachen Klima beigetragen. Aber - um es in den Worten von Verhaltensökonom Peter Andre zu sagen: "Dieser Pessimismus entspricht nicht der Datenlage."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 03. Mai 2025 um 12:17 Uhr.