Honigbienen, die einen Bienenstock bevölkern.

Verhaltensbiologie Jede Honigbiene sticht anders

Stand: 05.05.2025 06:08 Uhr

Die Persönlichkeit der Bienen prägt ihr Stechverhalten. Während die einen noch zögern, stechen die anderen bereits zu. Das haben Forschende der Uni Konstanz herausgefunden.

Von Anja Braun, SWR

Nicht alle Honigbienen stechen gleich, denn die Insekten haben unterschiedliche Vorlieben im Stechverhalten. Das fanden Forschende des Exzellenclusters "Kollektives Verhalten" der Universität Konstanz heraus. Die Ergebnisse ihrer aktuellen Studie legen nahe, dass die Persönlichkeit der einzelnen Bienen dabei eine große Rolle spielt.

Ein gut organisiertes Volk

Im Schnitt leben rund 50.000 Tiere in einem Bienenstock zusammen. Im Laufe ihres Bienenlebens werden sie an mehrere Stationen eingesetzt - zum Beispiel zum Futter besorgen, Wasser holen, Kühlung zufächeln aber auch als Wächterbienen, um den Bienenstock gegen Feinde verteidigen.

Beim Stich wird ein Alarmduftstoff freigesetzt

Kommt man nun einem Bienenstock zu nahe und wird dort von einer Verteidigungs-Biene gestochen, dann setzt sie ein Alarmpheromon frei. Diese Duftmarke signalisiert den anderen Wächterbienen Gefahr. Das zieht andere Bienen an, und die stechen dann auch zu. Dadurch wird noch mehr Alarm-Duftstoff ausgeschüttet.

Nun könnte man denken, dass diese Spirale sich immer weiter dreht, bis schließlich alle Bienen alarmiert sind und zum Stechen bereit. "Aber das ist nicht so, die haben eine eigene Bremse. Sobald genug Bienen gestochen haben, hören sie auf zu stechen. Das ist aus Sicht der Bienen sinnvoll, denn jede Biene, die sticht, stirbt. Das heißt: zu viele Bienen, die stechen, würde den Bienenstock zu viele Individuen kosten", sagt Giovanni Galizia, Professor für Neurobiologie an der Uni Konstanz und Co-Autor der jüngsten Bienenstudie. Das zeigt, dass der Bienenschwarm sich durchaus sozial regulieren kann.

Doch gerade am Stechverhalten der Bienen bei vermeintlicher Bedrohung des Bienenvolkes zeigt sich, dass jede Biene eine eigene Identität hat. "Die einen sind dann ein bisschen stärker im Stechen und die anderen stechen weniger. Das bedeutet, das Tier hat eine Individualität in der Art und Weise, wie es sich verhält, wenn der Stock angegriffen wird."

Universitätseigene Bienen zeigen individuelles Verhalten

Für die Forschungsarbeit hat die Neurobiologin Morgane Nouvian gemeinsam mit der Doktorandin Kavitha Kannan gezielt Wächterbienen an den universitätseigenen Bienenstöcken in Konstanz eingefangen. Mit verschiedene Experimenten konnte Arbeitsgruppenleiterin Nouvian zeigen, "dass manche Bienen aggressiver sind und manche freundlicher. Sie haben also individuelle Charaktere, die offensichtlich ihr Abwehrverhalten beeinflussen. Die Persönlichkeit der einzelnen Bienen spielt für ihr Stechverhalten eine große Rolle."

Bienen behalten ihre Individualität - auch im Schwarm

Zu Beginn der Studie waren die Forschenden davon ausgegangen, dass jede Biene eigentlich vom Schwarm kontrolliert wird. Also dass der Schwarm beschließt: Jetzt müssen wir uns verteidigen, und dann stehen alle Wächterbienen parat und sind bereit zum Zustechen. Die Experimente zeigten jedoch, dass das nicht so läuft, sondern dass die einzelne Biene eine Persönlichkeit hat, die sich in ganz unterschiedlichem Stechverhalten äußert und dass diese Schwarmintelligenz und die Verteidigung des Bienenvolkes trotzdem funktioniert.

Bienen passen sich im Stechverhalten nicht an

Neurobiologin Morgane Nouvian hat untersucht, inwieweit die Honigbienen ihr individuelles Stechverhalten in unterschiedlichen Situationen ändern und ob sie sich von dem Verhalten der restlichen Gruppe beeinflussen lassen. Dazu setzte das Team aggressive und auch freundliche defensiv gestimmte Bienen mehrfach einer Aggression - also einer vermeintlichen Bedrohung des Bienenstocks - aus. Doch die Bienen blieben bei ihrer Grundeinstellung. "Die netten Bienen haben nicht gestochen, egal wie oft wir sie getestet haben."

Eigentlich hatten die Neurobiologen erwartet, dass die Bienen eine Art von durchschnittlichem Verhalten zeigen würden. Stattdessen fanden sie Bienen, die fast immer stechen und andere, die fast nie oder nie stechen. Das Fazit der Forschenden: Der Stech-Durchschnitt, den eine Bienenpopulation erreicht, kommt also ganz auf die Zusammensetzung dieser individuell unterschiedlichen Bienen an.

Persönlichkeit steht vor Schwarmanpassung

Die jeweilige Persönlichkeit hat also mehr Einfluss als der Drang zur Anpassung im Schwarm. Dies bestätigt ein weiteres Experiment, bei dem eine aggressive Biene in eine Gruppe von defensiv freundlichen Artgenossen gesteckt wurde, um zu schauen, ob sie sich in ihrem Stechverhalten anpassen würde. Doch selbst die Gruppe der netten Bienen hatte keinen Einfluss auf das Stechverhalten. Die Bienen behielten ihre individuellen Stechvorlieben - egal in welches Gruppensetting sie gesetzt wurden.

Rückschlüsse für Regelungen des autonomen Fahrens

Doch wie funktioniert ein Schwarm von 50.000 Bienen trotz der individuellen Ausprägung seiner einzelnen Individuen zum Beispiel in Hinsicht auf ihr Verteidigungsverhalten? Genau diese Frage macht Bienen zum spannenden Forschungsobjekt. Und macht die Ergebnisse auch für andere Bereiche interessant.

Neurobiologe Giovanni Galizia sieht zum Beispiel Anwendung in der Frage, wie wollen wir die Arbeit in unserer Gesellschaft verteilen - oder ganz konkret: Wie kann man Verkehr regulieren beim autonomen Fahren? Wieviel muss ein Auto von allen anderen Autos wissen, die drumherum fahren, und wieviel Individualität dürfen wir den einzelnen Autos zugestehen? So kann Grundlagenforschung an Bienen für die Anwendung in anderen Forschungsbereichen durchaus wichtig sein.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete SWR Kultur am 29. April 2025 um 16:05 Uhr.