
Zollstreit mit den USA Warum China plötzlich Überstunden vermeiden will
Arbeitszeiten um die zwölf Stunden: In China bisher ganz normal. Wegen des Zollstreits mit den USA soll nun der Binnenmarkt gestärkt werden. Bürger, die mehr Freizeit haben, geben mehr Geld aus, so der Plan.
Kurz vor 21 Uhr in Shanghais High-Tech-Viertel Pudong. Seit einigen Wochen gehen in der Forschungsabteilung des chinesischen Drohnenherstellers DJI punkt neun Uhr die Lichter aus. Die Beschäftigten werden förmlich aus der Firma gekehrt und arbeiten nicht bis 22 oder 23 Uhr weiter.
Hintergrund ist die Aufforderung der Staats- und Parteiführung Chinas Beschäftigten ihre wohlverdienten Ruhezeiten zukommen zu lassen. Das soll dazu führen, dass die Menschen mehr Geld ausgeben. Eine Anfrage der ARD an DJI blieb unbeantwortet.
Der 27-jährige Xiao Hua ist bei DJI angestellt und findet die neue Regelung gut. Früher habe seine Familie schon geschlafen, wenn er nach Hause kam. Jetzt könne er noch mit seinen Kindern spielen. Er meint, es könne schon sein, dass er künftig etwas mehr Geld ausgebe, denn er sei jetzt besser drauf durch mehr Familienzeit.
Lieber ausruhen als shoppen
Ein anderer Angestellter will anonym bleiben. Er sagt, er müsse nun nicht mehr direkt ins Bett, wenn er nach Hause komme. Mehr shoppen durch mehr Freizeit? Das glaubt er nicht. Es sei ja schließlich noch immer spät abends und er ruhe sich lieber aus.
Eine 28-Jährige, die ihren Namen ebenfalls lieber nicht preisgeben möchte, sagt sie schaue mehr fern oder sei auf der Social Media Plattform Xiaohongshu. Vielleicht, so schränkt sie ein, sollte sie die Zeit aber auch mit Sinnvollerem füllen. Ein weiterer Mitarbeiter erklärt, jetzt mehr Sport zu machen.
Ein paar Stimmen, die nicht repräsentativ sind, aber doch deutlich machen: Nur weil sich die Arbeitszeit pro Tag um ein bis zwei Stunden verringert, erhöht sich nicht zwangsläufig der Konsum.
Aktionsplan zur Anregung der Binnennachfrage
Das ist aber die Hoffnung der kommunistischen Staats- und Parteiführung. Die hat im März einen sogenannten Aktionsplan vorgelegt, um die Binnennachfrage anzuregen. Ein Punkt, der vor dem Hintergrund des Zoll- und Handelsstreits mit den USA noch wichtiger geworden ist. Denn was nicht in den Export geht, soll auf dem Heimatmarkt abgesetzt werden. Im Aktionsplan steht, wozu man die Unternehmen anhält:
Gewährleistung der Rechte und Interessen der Arbeitnehmer auf Erholung und Urlaub gemäß den gesetzlichen Bestimmungen und Vermeidung unzulässiger Arbeitszeitverlängerungen."

Näherinnen in einer Fabrik für Mützen in Suqian, China. Die Regierung hofft mittels kürzerer Arbeitszeiten die Binnennachfrage anzukurbeln.
Gesetze sehen Acht-Stunden-Tage vor
Eigentlich verrückt, bedenkt man, dass Chinas Arbeitsgesetz einen Acht-Stunden-Tag bzw. durchschnittlich 44 Arbeitsstunden pro Woche festlegt. Wieso halten sich viele nicht dran? Zum einen, weil es nicht geahndet wird. Kulturell gibt es dafür verschiedene Gründe, erklärt Katja Drinhausen, Expertin für Chinas Innenpolitik beim Think-Tank Merics in Berlin. Vor allem bei Start-ups und jungen Unternehmen sei es eine Frage des Stolzes, sich einzubringen und hart zu arbeiten.
Zum anderen sei es gerade im produzierenden Gewerbe so, dass Arbeitsmigranten auf Überstunden angewiesen waren oder sie machen wollten und wollen. Je länger man arbeitet, desto höher am Ende der Verdienst. Da sei das Arbeitsrecht in der Vergangenheit stark unterminiert worden von den Unternehmen, aber zum Teil auch von den Mitarbeitern selbst.
Mentalität sich einzubringen hat Tradition
Die Mentalität, sich einzubringen und das Land aufzubauen, habe Tradition sagt Drinhausen, und werde auch von Staats- und Parteichef Xi Jinping bedient. Sie könnte jetzt, wo Chinas Wirtschaft durch den Handelskrieg mit den USA noch mehr unter Druck gerät, wieder verstärkt zum Tragen kommen.
So groß, wie die angekündigten Zölle ausfallen werden, so groß wie jetzt schon die Verwerfungen an den Märkten und im Unternehmensbereich sind, ist es eigentlich zu erwarten, dass sich das auch auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in China auswirken wird."
Für Katja Drinhausen stellt sich vor allem die Frage, wie konsequent die neuen Regeln umgesetzt werden. Zum einen bleibe abzuwarten, ob es wirklich einen nachhaltigen Kulturwandel geben werde, so die China-Expertin. Außerdem bedeute es nicht, dass Arbeitnehmer, die etwas mehr Freizeit haben, ihr Geld sofort in Konsum, Kino oder Neuanschaffungen investierten
Auch die Chinesinnen und Chinesen verfolgten die Weltlage und hielten ihr Geld jetzt zusammen, so Drinhausen. Das machen sie ohnehin schon, da das soziale Netz viel weniger umfangreich ist als in Deutschland. Wer nicht spart für Krankheit oder Arbeitslosigkeit, steht im schlimmsten Fall ohne Geld da.
Zahlreiche Firmen halten sich an neue Vorgaben
DJI ist nicht die einzige Firma in China, die zumindest den Anschein erweckt, sich an die Vorgabe der Partei zu halten. Bereits im Januar hatte der Haushaltsgeräte-Hersteller Midea verfügt: Keine Besprechungen nach Feierabend und keine Überstunden.
Der Industriekonzern Haier verbot es seinen Mitarbeitenden einer Mitteilung vom Februar zufolge, samstags und sonntags in die Firma zu kommen. Überstunden müssten eine Woche im Voraus genehmigt werden.
Wer keine Lust mehr hat, macht zehn Tage frei
Schlagzeilen gemacht hat in China zuletzt die Mall- und Lebensmittel-Kette Pangdonglai. Deren Gründer Yu Donglai führte eine Spezialregelung ein: wer die Nase voll hat vom Job, kann in seiner Firma bis zu zehn Tage frei machen, ohne das besonders begründen zu müssen.
Auch die Unternehmenskultur bei Pangdonglai sticht hervor: Sieben-Stunden-Tage, 30-40 Tage Urlaub im Jahr und keine Wochenendarbeit. Konditionen, von denen die meisten Chinesinnen und Chinesen noch immer nur träumen können.