
Deutsch-Iraner Sharmahd "Unsere Anwälte sagen: Es war Mord"
Knapp ein halbes Jahr nach dem Tod des Doppelstaatsbürgers Sharmahd im Iran haben Angehörige und Weggefährten in Berlin Abschied genommen. Viele Fragen bleiben offen. Seine Familie erhebt schwere Vorwürfe.
Der Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd war im Iran zum Tode verurteilt. Doch wurde er dort tatsächlich hingerichtet - oder erlitt er einen Schlaganfall, wie die iranische Justiz behauptete? Der einzige Weg, um das herauszufinden, ist eine Autopsie. Deshalb hatte seine Tochter, Gazelle Sharmahd, monatelang die Herausgabe des Leichnams gefordert. Die Bundesregierung erwirkte dies offenbar, der Leichnam wurde überführt.
Heute nun standen in einem Bestattungsinstitut in Berlin-Neukölln ein heller Sarg, eine trauernde Familie und etliche Iraner, die im selben Gefängnis wie Sharmahd inhaftiert waren, deren Angehörige hingerichtet worden waren oder auf die Vollstreckung eines Todesurteils warten. Außerdem kamen Cem Özdemir (Grüne), Franziska Giffey (SPD), Clara Bünger (Die Linke) und Vertreter des Auswärtigen Amtes.
"Sie wollen unsere Familie, unsere Seele brechen"
Gazelle Sharmahd war mit anderen Familienmitgliedern aus den USA angereist. "Sie wollen unsere Familie, unsere Seele brechen, indem wir uns nicht mal von ihm verabschieden können. Vier Monate haben wir gekämpft, dass wir wenigstens seinen Leichnam rausholen können." Der Iran habe allerdings nicht den ganzen Leichnam an Deutschland übergeben. "Der Zustand des Leichnams meines Vaters war so, dass sie sogar Organe entnommen haben. Sie haben also nicht meinen ganzen Vater hierher gebracht."
Herz und Zunge seien entnommen worden, so die Tochter des Verstorbenen. "Das ist auch eine Botschaft. Die Zunge, mit der er geredet hat und sein Herz, was für den Iran schlug, wollten sie nehmen. Aber das können sie nicht." Man könne die Todesursache an diesem Leichnam noch nicht feststellen. "Unsere Anwälte sagen: Es war Mord."
Anwalt Patrick Kroker gibt an, Sharmahd habe nur noch zwei Zähne gehabt, außerdem fehlten der Kehlkopf, Schilddrüse und andere Organe. Daher könne die Todesursache weiterhin nicht eindeutig geklärt werden. Kroker hält dies für eine bewusste Verschleierungstaktik des iranischen Staates. Es könne auch sein, dass Sharmahd an den Haftumständen gestorben sei. Denn medizinische Versorgung wurde dem 69-Jährigen verweigert.
Entführung vor fünf Jahren
Jamshid Sharmahd wurde im Iran geboren, wuchs aber in der Nähe von Hannover auf und war auch deutscher Staatsbürger. 2003 zog der studierte Elektroingenieur in die USA und arbeitete als IT-Fachmann. Sharmahd engagierte sich politisch gegen das iranische Regime, für Menschenrechte und galt als Anhänger des gestürzten Shah.
Als er im Sommer 2020 nach Indien reiste, wurde er während eines Zwischenstopps in Dubai vom iranischen Geheimdienst entführt. Zunächst galt er als vermisst - bis er im iranischen Staatsfernsehen auftauchte, wo er zu einem Geständnis gezwungen worden war. Dies ist eine im Iran gängige Methode, mit politisch Andersdenkenden umzugehen und sie danach zu verurteilen.
Iran erhebt Spionage-Vorwurf
Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurde Sharmahd gefoltert, war in Isolationshaft und hatte keinen Rechtsbeistand. Anfang 2023 wurde Sharmahd zum Tode verurteilt. Die Justiz behauptete, er sei für einen Terroranschlag im Iran verantwortlich und habe mit ausländischen Geheimdiensten zusammengearbeitet.
Noch ehe Sharmahd hingerichtet werden konnte, soll er sich selbst umgebracht haben, gaben die Behörden an. Deutschland rief daraufhin den deutschen Botschafter vorübergehend zurück und ließ drei iranische Konsulate in Deutschland schließen. Die deutsch-iranischen Beziehungen hatten einen Tiefpunkt erreicht.
Die Familie forderte, wenigstens den Leichnam ausgehändigt zu bekommen. Im Februar wurde dieser dann nach Deutschland überführt. Beobachter vermuteten einen Deal zwischen Deutschland und dem Iran, denn oft bekommen Angehörige die Leichname von Hingerichteten nicht mehr zu sehen. Die Staatsanwaltschaft Cottbus leitete ein Todesermittlungsverfahren ein.
"Wenn ich eines Tages sterbe, machen die jungen Leute weiter"
Bei der Trauerfeier waren auch andere, deren Angehörige als politische Geiseln im Iran festgehalten werden. Sie versuchen, sich Gehör zu verschaffen, weil sie sich politisch nicht vertreten sehen.
Tochter Gazelle Sharmahd erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung. "Die hiesige Regierung hat fast nichts unternommen und deshalb hat sie letztlich mit der Islamischen Republik zusammengearbeitet." Auch die Stimme Jamshid Sharmahds war zu hören: "Wenn ich eines Tages sterbe, machen die jungen Leute weiter."
Der künftige Bundeskanzler Friedrich Merz sagte in einer Grußbotschaft an die Trauernden, man werde dieser "menschenverachtenden Politik entschiedener begegnen". Der Kurs gegenüber dem Iran werde "klarer und härter" werden.
Am Abend versammelte seine Tochter Aktivisten der Nichtregierungsorganisation Hawar Help und andere Unterstützende zu einer Kundgebung in Berlin.
In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die iranische Justiz gebe an, Sharmahd habe Suizid begangen. Tatsächlich starb er ihren Angaben zufolge aber an einem Schlaganfall. Wir habe diese Textpassage korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen