Rechtsextremer Anti-CSD-Protests am 31. Mai 2025 in Dresden.

Sachsen Mehr und jüngere Rechtsextremisten und mehr ältere Reichsbürger in Sachsen 2024

Stand: 03.06.2025 13:01 Uhr

Die Zahlen in Sachsen steigen in allen Bereichen: Mehr Rechstextremisten, mehr Reichsbürger, mehr rassistische Gewalttaten gegen Ausländer, mehr Verächtlichmacher gegen den Staat, mehr Immobilien in Händen von Rechtsextremisten. All das steht im Verfassungsschutzbericht, der am Dienstag vorgestellt wurde. Aber auch Spionage-Akte von Geheimdiensten aus Russland und China gelten als gefährlich, ebenso die autonome Szene in Sachsen.

Von MDR SACHSEN

Mehr Rechtsextremisten in Sachsen

Die Zahl der Rechtsextremisten in Sachsen ist im vergangenen Jahr auf rund 6.000 Personen gestiegen. Das sind rund 200 mehr als im Jahr 2023. So steht es im Jahresbericht 2024 des Landesamtes für Verfassungsschutz. Er wurde am Dienstag in Dresden vorgestellt. Rechtsextremistische Gruppen vernetzen sich demnach immer stärker, reagieren und mobilisieren schnell über soziale Medien und "verjüngen sich erheblich".

Unverändert stellt der Rechtsextremismus in Sachsen die größte Herausforderung dar. Dirk-Martin Christian | Präsident des Lanesamtes für Verfassungsschutz Sachsen

Gewaltbereitschaft und Antisemitismus steigen

Der Partei AfD werden 1.550 Rechtsextremisten zugeordnet, 2023 waren es 1.300. Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen, Dirk-Martin Christian, sagte dazu: "Unverändert stellt der Rechtsextremismus in Sachsen die größte Herausforderung dar."

Innenminister Armin Schuster (CDU) betonte, dass jüngere Täterinnen und Täter in allen Phänomenbereichen zu beobachten seien. Die Radikalisierung beginne bereits im Kindes- und Jugendalter. "Die Gewalt nimmt zu, die Toleranz ab". Es gebe mehr Gewaltbereitschaft und steigenden Antisemitismus.

Rassismus so stark wie zuletzt 2015

Die Zahl rechtsextremistischer Straftaten in Sachsen ist erneut stark gestiegen: auf 3.919 registrierte Fälle (2023: 2.566 Fälle). "Insbesondere die darin enthaltene Zahl der Straftaten gegen den politischen Gegner stieg im Vergleich zum Vorjahr um mehr als das Doppelte an.

Die fremdenfeindlichen Straftaten nahmen ebenfalls zu und übertrafen deutlich den bisherigen Höchstwert von 784 im Jahr 2015." So habe es 2023 insgesamt 712 rassistische Straftaten gegeben. 2024 waren es mit 983 deutlich mehr Attacken gegen politische Gegner.

Verfassungsschutzbericht: Zahl der Extremisten in Sachsen auf Rekordhoch

Rechtsextremistische Aggression entlädt sich primär durch körperliche Gewalt gegen andere Menschen, überproportional jedoch gegenüber ausländischen bzw. als 'nichtdeutsch' wahrgenommenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. aus dem Jahresbericht 2024 des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen |

Zudem verzeichnen die Verfassungsschützer mehr Propagandadelikte: Dazu gehören das Verbreiten und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen und Volksverhetzung. Die sind laut Landesamt gegenüber dem Vorjahr nochmals erheblich gestiegen und machten mit 83,5 Prozent (3.271 Straftaten) wie in den Vorjahren den weit größten Teil der rechtsextremistischen Straftaten aus. 2023 waren es mit 73 Prozent 1.873 Straftaten.

Antisemitischen Straftaten mit Rechtsextremismusbezug blieben mit 197 im Jahr 2024 gegenüber 199 im Jahr 2023 auf gleichem Niveau.

Rechtsextremistische Straftaten wurden in allen Landkreisen und Großstädten verübt, am häufigsten in Leipzig, Dresden, Zwickau und im Kreis Bautzen. Auch rechtsextremistische Gewalttäter schlugen am häufigsten in Leipzig, Dresden und Bautzen zu.

Diese rechtsextremistischen Straftaten fielen 2024 besonders in Sachsen auf (zum Aufklappen)

Rechtsextremisten auf Immobiliensuche

Die Zahl rechtsextremistisch genutzter Immobilien stieg auf 37, zwei mehr als im Jahr davor. Weil die rechtsextremistische Szene in ihren Häusern ihre Ideologie ungestört ausleben will, ist sie "grundsätzlich bestrebt, Immobilien nach Möglichkeit außerhalb urbaner Zentren zu kaufen. Vor allem in Ostdeutschland und auch im Freistaat Sachsen finden sie nicht selten langjährig leerstehende Gebäude in ländlicher Abgeschiedenheit, die sie unter Umständen über Strohmänner von privater Hand preiswert" kaufen, herrichten "und dann entsprechend ihrer verfassungsfeindlichen Agenda nutzen", heißt es im Bericht.

Reichsbürger und Selbstverwalter

In Sachsen lebten 2024 laut Verfassungsschutz rund 3.100 sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter. Das ist ein neuer Höchststand. 2023 waren es noch 3.000. Der Frauenanteil mit rund 38 Prozent ist in diesem Spektrum laut Verfassungsschutz "verhältnismäßig hoch und weiter zunehmend". Reichsbürger und Selbstverwalter sind überwiegend älter.

Wegen des deutlich höheren Altersdurchschnitts von rund 50 Jahren wird auch von einer 'Radikalisierung in der zweiten Lebenshälfte' gesprochen. Sächsischer Verfassungsschutz |

Die meisten Reichsbürger leben in den Kreisen Bautzen, Erzgebirge, Mittelsachsen und in der Stadt Dresden. Der Anteil der Rechtsextremisten innerhalb dieses Spektrums liege bei 2,9 Prozent und sei damit im Vergleich zum Vorjahr unverändert geblieben. In 30 Fällen hat der Verfassungsschutz Erkenntnisse zu Reichsbürgern an die Waffenbehörden weitergegeben.

Vor drei Wochen waren die Sicherheitsbehörden gegen das selbsternannte "Königreich Deutschland" vorgegangen, nachdem Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) die Vereinigung verboten hatte. Zudem warnen die Verfassungsschützer vor verdeckten Immobilienkäufen der selbsternannten Reichsbürger.

Was wollen die Reichsbürger eigentlich? (zum Aufklappen)

  • "Reichsbürger" lehnen die Bundesrepublik Deutschland als Staat fundamental ab.
  • Sie behaupten, das historische Deutsche Reich bestehe bis heute fort und argumentieren vielfach mit Verschwörungmythen.
  • Laut Bundesverfassungsschutz ist ein kleinerer Teil der Reichsbürger und Selbstverwalter der rechtsextremistischen Szene zuzuordnen. Wie dieser Teil den Holocaust verleugnet, an antisemitische Erklärungsmuster andockt und bewusst öffentlich provoziert, lesen Sie hier.

Die Verächtlichmacher und ihre Ziele

Neben den Reichsbürgern stellen die Verfassungsschützer in Sachsen rund 200 Personen fest, die zum Bereich der "Delegitimierer" gehören. Das sind Akteure, die den Staat öffentlich und in sozialen Medien "massiv verächtlich machen mit dem Ziel, das Vertrauen der Bevölkerung in die demokratische und rechtsstaatliche Verfasstheit des Staates von Grund auf zu erschüttern."

Einzelne riefen demnach auf Plattformen wie Telegram "offen zu Angriffen auf Politiker oder zum gewaltorientierten Systemsturz auf". Andere hätten versucht, Amts- und Mandatsträgern per Direktnachricht mit unmittelbarer Gewalt zu drohen und sie dadurch zu beeinträchtigen.

Teilnehmer einer Versammlung von sogenannten Reichsbürgern halten Fahnen in der Hand.

In Sachsen gibt es mehr Reichsbürger als noch 2023. Hochburgen sind die Landkreise Bautzen und Erzgebirge, aber auch die Stadt Dresden. Das Archivfoto zeigt Teilnehmer aus Sachsen bei einer Demo in Schwerin.

Schulterschluss der Rechtsextremen

Zudem falle auf, dass "Delegitimierer", Reichsbürger und Selbstverwalter sich vernetzen und annähern. Als Beispiel nennt der Verfassungsschutz: "Rechtsextremisten nutzen regelmäßig die Bühnen von 'Delegitimierer'-Veranstaltungen, wobei die eigene ideologische Ausrichtung zugunsten des gemeinsamen Ziels, den Sturz des gegenwärtigen politischen Systems, in den Hintergrund rückte." Insofern verfestige sich ein "Schulterschluss" verschiedener extremistischer Akteure im Protestgeschehen in Sachsen. Das Bindeglied sei die Verächtlichmachung des Staates.

Die linksextremistische Szene

Der linksextremistischen Szene im Freistaat ordnet der Verfassungsschutz rund 900 Personen zu. Dabei dominiere die autonome Szene mit rund 420 Personen. Im Jahr davor waren es noch 450. Regionaler und bundesweiter Schwerpunkt autonomer Aktivitäten ist laut Bericht die autonome Szene in Leipzig.

Insgesamt wurden 1.099 linksextremistisch motivierte Straf- und Gewalttaten verübt, die meisten in Dresden (332), Leipzig (250) sowie im Kreis Görlitz (120), vielfach Brandstiftungen an Fahrzeugen.

Blick auf die linksextremistischen Straftaten

In Leipzig sind 43 Prozent weniger linksextremistische Straftaten festgestellt worden. Die Zahl der Gewalttaten ist laut Bericht um 68 Prozent gesunken und lag damit "deutlich unter dem Niveau des Vorjahres". In Dresden seien mehr linksextremistische Straf- und Gewalttaten verübt worden, in Chemnitz (29) dagegen weniger als noch im Vorjahr.

Die Behörde führt den Rückgang auch darauf zurück, "dass die Sicherheitsbehörden in verstärktem Maße Ermittlungsverfahren und Exekutivmaßnahmen durchgeführt haben." Bei Ermittlungen und Prozesse zu Angriffen gegen mutmaßliche Rechtsextremisten in Budapest in Ungarn, gab es Ende 2023 sowie 2024 mehrere Durchsuchungen und Verhaftungen in Ungarn, Mitteldeutschland und Berlin.

Islamisten in Sachsen

Die Zahl der Islamisten liegt dem Verfassungsschutzbericht zufolge unverändert bei 400. Das sind 50 weniger als noch im Jahr 2023. "Das Personenpotenzial bleibt im Bundesvergleich weiterhin auf niedrigem Niveau", schätzt das Landesamt für Verfassungsschutz ein und nennt die Gefahr vor Terroranschlägen "unverändert abstrakt hoch".

Desinformationsversuche und Spionage auch in Sachsen

Ein Kapitel im sächsischen Verfassungsschutzbericht gilt der Spionage- und Cyberabwehr. Demnach sind die mit Abstand aktivsten ausländischen Nachrichtendienste in Sachsen die russischen und chinesischen. Russland führe einen hybriden "Informationskrieg mit professionellen Desinformationskampagnen gegen den 'Westen'", besonders in sozialen Medien. Vor allem mit Blick auf den Krieg gegen die Ukraine verbreite Russland gezielt Desinformationen, um Meinungen zu beeinflussen und die westliche Demokratie zu destabilisieren.

Nachdem Ende 2023 das russische Generalkonsulat in Leipzig schloss und bundesweit mehrere Dutzend Diplomaten ausgewiesen wurden, können "die russischen Nachrichtendienste nur noch wenig bis gar nicht auf die vormals stark ausgeprägte geheimdienstliche Infrastruktur ihrer Legalresidenturen zurückgreifen". Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass russische Nachrichtendienste verstärkt mit altbewährten Methoden, Reise-Agenten und verdeckten Spionen arbeitet.

IT-Angriffe als Teil hybrider Kriegsführung

Als Teil der hybriden Kriegsführung nennt der Bericht Spionage in IT-Bereichen und mehrere länderübergreifende Desinformationskampagnen des mutmaßlich russischen "Doppelgänger"-Netzwerkes. Vor der Europa- und den Landtagswahlen seien Websites von deutschen Leitmedien kopiert und mit authentisch wirkenden Social-Media-Accounts bestückt worden, auf denen Desinfomationen über Deutschland und die Ukraine verbreitet wurden.

Schlussendlich zielen derartige Kampagnen mittel- oder langfristig darauf ab, das politische System des 'Westens' zu destabilisieren. |

Was China alles wissen will

Die chinesischen Nachrichtendienste verfolgen zwei Strategien: einerseits würden Oppositionelle verfolgt und Know-how ausspioniert, um China zur weltweit größten Wirtschaftsmacht zu entwickeln. Vor allem innovative sächsische Unternehmen und Forschungseinrichtungen mit ihren Spitzentechnologien stünden im Fokus. "Chinesische Studenten, Doktoranden und (wissenschaftliche) Arbeitskräfte werden ganz gezielt mit Ausforschungs- und Beschaffungsaufträgen betraut, um in Unternehmen und an Universitäten oder Forschungseinrichtungen im Ausland Wissen abzuschöpfen und dieses (illegal) nach China zu transferieren", heißt es im Bericht.

Spionage-Vorwürfe gegen Deutschen und Chinesin

Als Beispiel für Einflussnahme Chinas nennen die Verfasser zwei Festnahmen wegen mutmaßlicher geheimdienstlicher Agententätigkeit. Im April 2024 nahmen LKA-Beamte in Dresden den deutschen Staatsangehörigen Jian G. vorläufig fest und durchsuchten dessen Wohnung.

Laut Bundesanwaltschaft ist Jian G. Mitarbeiter eines chinesischen Geheimdienstes und soll wiederholt Informationen über Verhandlungen und Entscheidungen im Europäischen Parlament an seine nachrichtendienstlichen Auftraggeber weitergegeben haben. Zudem spähte Jian G. für den Nachrichtendienst chinesische Oppositionelle in Deutschland aus. Er sitzt in U-Haft.

Die zweite Festnahme fand Ende September durch BKA-Beamte in Leipzig statt. Dabei wurde die chinesische Staatsangehörige Yaqi X. vorläufig festgenommen und ihre Wohnung durchsucht.

Laut Bundesanwaltschaft arbeitete Yaqi X. für ein Logistik-Dienstleister unter anderem am Flughafen Leipzig/Halle. Von August 2023 bis Februar 2024 "übermittelte Yaqi X. einem Geheimdienst-Mitarbeiter – dem gesondert verfolgten, oben genannnten Jian G. – "wiederholt Informationen über den Transport von Rüstungsgütern sowie über Personen mit Verbindungen zu einem deutschen Rüstungsunternehmen. Aufgrund dessen wird Yaqi X. der geheimdienstlichen Agententätigkeit für einen chinesischen Geheimdienst beschuldigt".

Den vollständigen Jahresbericht des Verfassungsschutzes Sachsen können Sie hier nachlesen.

MDR (kk)/epd