Rheinland-Pfalz Zehn Jahre danach: WDR-Doku arbeitet den Germanwings-Absturz auf

Stand: 18.03.2025 16:18 Uhr

Am 24. März 2015 stürzte das Germanwings-Flugzeug 9525 in den französischen Alpen ab. Alle 150 Menschen kamen dabei ums Leben.

Den Ermittlungen zufolge hat der aus Montabaur stammende Co-Pilot Andreas Lubitz die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht. Unter den Opfern waren auch zwei junge Männer und eine junge Frau aus dem Westerwald.

Seit einigen Wochen gibt es eine vierteilige WDR-Dokumentation in der ARD Mediathek zu sehen, die den Absturz zum Thema hat: "Der Germanwings-Absturz - Chronologie eines Verbrechens". Justine Rosenkranz ist die Autorin der Dokumentation. Im Interview erzählt sie, wie aufwändig die Arbeit war, was sie dabei besonders berührt hat und was die Angehörigen der Opfer motiviert hat, bei der Dokumentation mitzuwirken.

SWR Aktuell: Frau Rosenkranz, Sie haben für die Dokumentation unter anderem Interviews mit mehreren Angehörigen von Opfern des Absturzes geführt. Wie haben Sie die Angehörigen in den Interviews erlebt? Ist es ihnen leicht gefallen, mit Ihnen darüber zu reden?

Justine Rosenkranz: Das hat sich über die Jahre verändert. Am Anfang ist ihnen das natürlich sehr schwer gefallen. Ich hatte aber den Eindruck, dass die Angehörigen froh waren, von ihren Kindern erzählen zu können. Ihnen ist wichtig, dass ihre Kinder nicht vergessen werden. Dass man über sie reden und erzählen kann, wer sie waren.

SWR Aktuell: War das dann auch die Motivation der Angehörigen, an der Dokumentation mitzuwirken? Oder hat sie etwas anderes dazu motiviert?

Justine Rosenkranz: Ich hatte auch mit vielen Angehörigen gesprochen, die bereit waren unter vier Augen mit mir zu sprechen, die aber nicht vor die Kamera wollten. Die auch viele Jahre nach dem Absturz nicht öffentlich darüber reden konnten. Diejenigen, die dazu bereit waren, wollten damit zum einen an ihre verstorbenen Angehörigen erinnern. Aber auch an die Tat, den Absturz allgemein. Dass es nicht vergessen und weiter aufgearbeitet wird. Einige Angehörige fordern bis heute, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Sie geben nicht nur dem Co-Piloten die Schuld. Sondern auch dem System, dass überhaupt ein psychisch kranker Mensch im Cockpit sitzen konnte.

SWR Aktuell: War es schwer, Angehörige von Opfern des Absturzes zu finden, die bereit waren mitzumachen?

Justine Rosenkranz: Ich habe mit vielen gesprochen. Einige sagten gleich, dass sie sich das gar nicht vorstellen können. Andere haben zunächst darüber nachgedacht, später dann aber abgesagt. Viele konnten sich also nicht vorstellen, vor der Kamera öffentlich über ihre Gefühle zu sprechen. Einigen war das aber wichtig. Und letztlich waren alle hinterher froh, dass sie mitgemacht haben, weil es ihnen gutgetan hat.

SWR Aktuell: Was haben die Gespräche mit Ihnen gemacht, wie war das für Sie persönlich?

Justine Rosenkranz: Das waren viele emotionale Interviews, in denen mir die Angehörigen etwa berichtet haben, wieso ihr Kind in dem Flugzeug saß und wie sie vom Absturz erfahren haben. Und auch, wie sie es schaffen, das irgendwie zu verarbeiten und ihr Leben weiterzuleben. Das hat mich selbst so bewegt, dass mir natürlich auch die Tränen gekommen sind und ich mitgeweint habe. Ich habe aber auch festgestellt, das war nicht schlimm für die Angehörigen. Man muss nicht immer so professionell sein, dass man das nicht zulässt.

SWR Aktuell: So ein Drehtag hat Sie vermutlich auch noch nach Feierabend beschäftigt. Wie sind Sie damit umgegangen?

Justine Rosenkranz: Ja, das stimmt. Wir haben im Team festgestellt, dass es immer gut für uns war, im Anschluss darüber zu reden - etwa auf der Rückfahrt oder im Hotel. Ich nehme mich da aber selbst zurück, denn das ist ja kein Vergleich zu dem, was die Angehörigen erlebt haben. Ich habe das nur erzählt bekommen, ich habe es nicht selbst erlebt.

SWR Aktuell: Es läuft aktuell ja noch ein Klageverfahren gegen das Luftfahrtbundesamt, an dem sich 32 Angehörige beteiligen. Welche Rolle spielt das Verfahren für die Angehörigen?

Justine Rosenkranz: Die Angehörigen und deren Anwälte werfen den Fliegerärzten vor, sie hätten den Co-Piloten Andreas Lubitz nicht ausreichend untersucht. Sie sind der Meinung, sie hätten erkennen müssen, dass er dem Druck nicht gewachsen und psychisch krank war. Weil die Ärzte nicht gut genug hingeschaut hätten, habe das überhaupt passieren können. Es geht bei der Klage um rund 30.000 Euro Schadenersatz pro Angehörigem. Ihnen geht es aber viel mehr darum, dass der Fall noch einmal gerichtlich aufgearbeitet wird. Und dass man Verantwortliche, wie das Luftfahrtbundesamt, zur Rechenschaft zieht. Es gibt Angehörige, die sagen, dass sie erst dann zur Ruhe kommen und damit abschließen können.

SWR Aktuell: Welcher Aufwand steckt hinter dieser vierteiligen Dokumentation? Wie lange hat die Produktion gedauert und wie viele Kolleginnen und Kollegen waren daran beteiligt?

Justine Rosenkranz: Wir haben mit einem Team von etwa zehn Kolleginnen und Kollegen zwei Jahre lang daran gearbeitet. Es begann damit, dass wir 10.000 Seiten Ermittlungsakten gelesen, ein Konzept entwickelt und ein Drehbuch geschrieben haben. Dann haben wir mit der Recherche begonnen und Interviewpartner gesucht. Im Sommer 2023 haben wir dann mit den Dreharbeiten begonnen. Am Ende haben wir noch drei Monate für den Schnitt benötigt.

SWR Aktuell: Die Dokumentation ist bereits seit einigen Wochen in der Mediathek zu sehen. Haben Sie seitdem bereits Feedback dazu erhalten?

Justine Rosenkranz: Mehr als 2,1 Million Menschen haben sich die Doku bereits angeschaut. Das ist sehr erfolgreich für die kurze Zeit, darauf sind wir stolz. Wir haben darauf auch schon viel positive Resonanz bekommen. Luftfahrtexperten oder Journalisten haben sich gemeldet und gelobt, dass das Ganze sehr gut und genau aufgearbeitet wurde. Auch die Angehörigen sind sehr zufrieden damit, wie sie dargestellt wurden. Wir sind also sehr zufrieden.

SWR Aktuell: Die Eltern eines jungen Mannes aus dem Westerwald, der bei dem Absturz gestorben ist, haben sich in einem Zeitungsinterview kritisch über die Dokumentation geäußert. Ebenso ein Pfarrer aus dem Westerwald, der die Angehörigen damals unterstützt hat. Was sagen Sie dazu, wie gehen Sie damit um?

Justine Rosenkranz: Mit ihrer Haltung stehen der Pfarrer und die Eltern des jungen Mannes aus dem Westerwald weitgehend allein. Die Angehörigen aus unserer Dokuserie haben mir allesamt zurückgemeldet, dass die Filme auf sie sehr sachlich und einfühlsam wirken. Die Dokuserie unter der Rubrik Crime-Time laufen zu lassen, war die Entscheidung der ARD. Eine Person hat 149 Menschenleben ausgelöscht, was ein Verbrechen ist. Das rechtfertigt unserer Meinung nach durchaus die Einordnung in diese Rubrik.

Passend zur Fernseh-Dokumentation gibt es auch einen sechsteiligen WDR Podcast zum Thema: "Der Germanwings Absturz – Zehn Jahre ohne euch".

Das Interview führte Christoph Bröder.

Sendung am Di., 18.3.2025 14:00 Uhr, SWR4 am Nachmittag, SWR4

Mehr zum Germanwings-Absturz