Die Familien Mielke und Ron vor dem Haus in der Gartenstraße 8 in Quakenbrück.

Niedersachsen Von Quakenbrück nach Tel Aviv: Auf den Spuren von Henny Hirsch

Stand: 02.06.2025 21:21 Uhr

Als Karin und Hans-Peter Mielke ihr Haus in der Gartenstraße kauften, kannten sie dessen Geschichte nicht. Mit einem Historiker und Hilfe aus Israel gingen sie auf Spurensuche - und stießen auch auf Hans Calmeyer.

Von Susanne Schäfer

Es ist derselbe Terrazzoboden, dieselbe Holztreppe, über die Henny Hirsch vor fast 100 Jahren gegangen ist - so wie jetzt ihre Ururenkelin May Ron. Die 31-jährige May ist aus Tel Aviv zu Besuch in Quakenbrück (Landkreis Osnabrück). Ihr Opa Usi Ron hat sie auf diese Reise mitgenommen. Er selbst ist schon über 80 Jahre alt und möchte, dass seine Enkel die Geschichte der Familie kennenlernen. Und diese Geschichte hat ihre Wurzeln auch in Quakenbrück, in der Gartenstraße 8.

Usi Ron und seine Enkeltochter May Ron.

Usi Ron und seine Enkeltochter May zu Besuch in Quakenbrück.

Schreck nach dem Kauf

Dort leben seit 25 Jahren Hans-Peter und Karin Mielke. Nach dem Kauf entdecken sie auf dem Dachboden den alten Bauplan und erfahren von einer Nachbarin, dass hier einst die jüdische Familie Hirsch gelebt hat. Kein gutes Gefühl für das Ehepaar, Hans-Peter kommt ins Nachdenken: "Für mich war ganz klar die Frage, ob wir das Haus überhaupt bewohnen können. Wurde das Haus der jüdischen Familie eventuell weggenommen - unrechtmäßig?"

Ein Anruf aus Israel

Sie wenden sich an den Künstler Gunter Demnig und entscheiden sich dazu, Stolpersteine vor ihrem Haus zu verlegen. Einen Artikel darüber liest Usi Ron in Israel. Er recherchiert die Telefonnummer und greift zum Hörer. In der Gartenstraße 8 klingelt es. "Was ein Glück, dass Usi die Initiative ergriffen und sich bei uns gemeldet hat", sagt Karin Mielke heute. Denn Usi Ron ist sich sicher: Die Namen auf den Stolpersteinen - Siegfried, Recha, Ruth, Olga, Henriette und Fritz Hirsch - gehören zu seiner Familie.

Stolpersteine vor dem Haus in der Gartenstraße 8 in Quakenbrück.

Sechs Stolpersteine liegen vor dem Haus der Familie Mielke in Quakenbrück.

Ein Buch über Henny Hirsch

Seine Frau Rina Hirsch ist die Tochter von Henriette, die von allen Henny genannt wurde. Bei der weiteren Spurensuche hilft der pensionierte Lehrer und Historiker Karl Kassenbrock aus Osnabrück. Er hat über Henny Hirsch ein Buch geschrieben. Denn sie war die Sekretärin des Judenretters Hans Calmeyer, mit dem sich Kassenbrock seit vielen Jahren beschäftigt.

Historiker Karl Kassenbrock

Karl Kassenbrock hat das Buch "Unbehaust" über die Geschichte von Henriette Hirsch geschrieben.

Die Familie verkauft das Haus

Die Hochzeit von Henny Hirsch und Heinz Koppel 1938 ist das letzte Fest in der Gartenstraße 8 in Quakenbrück, bevor die Familie das Haus verkauft. Hennys Geschwister sind zu diesem Zeitpunkt schon nach Palästina und Südafrika ausgewandert, berichtet Kassenbrock. "Niemand in ihrer Situation konnte dort freiwillig irgendetwas machen. Es war eine Zwangssituation, und sie haben versucht, diese so gut wie möglich für sich zu lösen", sagt er. "Es ist zu einem offiziellen Verkauf gekommen, keine Zwangsenteignung. Aber, dass das reguläre Umstände gewesen sind, das kann man ganz bestimmt nicht sagen."

Nächste Station Amsterdam

Nach dem Verkauf geht Hennys Geschichte in Amsterdam weiter. Dort lebt sie mit ihrem Mann Heinz Koppel. Und trifft dort - vermutlich zufällig - ihren früheren Arbeitgeber Hans Calmeyer wieder, erklärt Kassenbrock. "Es gibt keine konkreten Beweise in Form von Akten, aber die Erzählungen beider Familien deuten daraufhin, dass Hans Calmeyer einen maßgeblichen Anteil an der Rettung von Henny, Heinz und ihrer Tochter hatte."

Über Westerbork nach Bergen-Belsen

Ihr Weg führt sie über das Sammel- und Durchgangslager Westerbork nach Bergen-Belsen. Im Januar 1945 gehört die junge Familie dann zum letzten Austauschtransport in die Schweiz und gelangt schließlich nach Palästina. Eine wechselvolle Geschichte, letztlich mit einem glücklichen Ende. Usi Ron ist es wichtig, diese Geschichte zu kennen, aber er will nach vorne schauen. So formuliert es auch seine Enkelin May Ron. "Wir sind wirklich glücklich, dass wir so eine gute Beziehung haben zu den Menschen, die jetzt hier im Haus leben."

Eine Menora als Erinnerung

Als sie mit Hans-Peter und Karin Mielke bei ihrem Besuch in Quakenbrück durch das Haus geht, entdeckt sie einen siebenarmigen Leuchter, eine Menora. "Wir möchten eine Verbindung haben zu der jüdischen Geschichte dieses Hauses", erklärt Karin Mielke. "That's really moving", antwortet May Ron - das sei wirklich bewegend.

Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Hallo Niedersachsen | 02.06.2025 | 19:30 Uhr