Ein Fahrzeug der Kampfmittelbergung am Fundort in Göttingen.

Niedersachsen 15 Jahre nach tödlichem Bombenunglück: Gefahr besteht weiterhin

Stand: 01.06.2025 12:58 Uhr

Nach dem tödlichen Explosionsunglück im Jahr 2010 bei einer Bombenentschärfung in Göttingen bleiben Blindgänger ein Problem. Nun werden an sechs Verdachtspunkten mögliche Blindgänger gesucht.

Von Bärbel Wiethoff

Vor 15 Jahren, am 1. Juni 2010: Beim Versuch, eine Zehn-Zentner-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg zu entschärfen, explodiert der Blindgänger in Göttingen. Drei Männer des Kampfmittelbeseitigungsdienstes kommen dabei ums Leben. Immer noch denken viele in Göttingen daran und an die Gefahr, wenn wieder nach Bomben gesucht wird. Insgesamt 80 mögliche Blindgänger liegen noch im Boden. Am 10. Juni starten die nächsten Flächensondierungen, ab dem 30. Juni wird in der Nähe von sechs Verdachtspunkten in die Tiefe gebohrt, drei davon liegen auf Privatgrundstücken.

Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg

Bomben-Unglück 2010 in Göttingen: Ein Rückblick

Für die Anwohner ist das ein mulmiges Gefühl. Im Garten von Wojtek Bolimowski und seinen Nachbarn stecken inzwischen orangefarbene Stäbe, genau darunter liegen möglicherweise Blindgänger. Das geht aus Luftbildern aus dem Zweiten Weltkrieg hervor. Im Umkreis von fünf Metern um diesen Punkt muss tief in die Erde gebohrt und der Bereich mit Magnetfeldsonden überprüft werden - selbst im Gartenhaus und auf der überdachten Terrasse.

"Alles muss weg", wenn eine Bombe gefunden wird

Sollte hier tatsächlich eine Bombe liegen "muss alles weg, alles", sagt Bolimowski und zeigt auf sein kleines Idyll: die Gartenlaube mit Werkstatt, die Terrasse, den selbstgebauten Pool, den hohen Efeu. Und dann müssten die Experten versuchen, drei riesige Wände aus Überseecontainern, gefüllt mit Wasser, in den Garten zu quetschen, um das nur etwa 20 Meter entfernte Wohnhaus zu schützen. Bei der Nachbarin ist es noch schlimmer, erzählt, Bolimowski, da steckt der Stab direkt neben dem Haus.

Anwohner sollten 400.000 Euro zahlen

Als der pensionierte Violinist Wojtek Bolimowski davon erfahren hat, dass möglicherweise eine Bombe in seinem Garten liegt, war er geschockt, erzählt er. Vor allem wegen der Kosten: 400.000 Euro sollte er zahlen, so sieht es ein Gesetz des Landes Niedersachsen vor. So viel Geld habe er nicht, sagt der 73-Jährige. Zum Glück für ihn und die anderen Privateigentümer hat der Verwaltungsausschuss der Stadt Göttingen beschlossen, dass Personen mit einem Vermögen von bis zu 500.000 Euro (ohne das betroffene Grundstück) von den Kosten für die Sondierung und eine mögliche Entschärfung oder Sprengung befreit sind.

Rechts das Gartenhaus, hinten das Wohnhaus von Wojtek Bolimowski. Hier könnten Blidngänger aus dem zweiten Weltkrieg liegen.

Die Gartenlaube, Terrasse, der selbstgebaute Pool, der hohe Efeu - alles müsste weg, sollte ein Blindgänger gefunden werden.

Bomben beseitigen ist teuer - neue Gesetze sollen her

Das bedeutet jedoch, dass die kommunale Gemeinschaft, also die Menschen in Göttingen, dafür zahlen, erklärt Christian Schmetz, Erster Stadtrat, und ergänzt: "Wir als Stadt Göttingen sind der Auffassung, dass diese Regelung überarbeitungswürdig ist und dass man darüber nachdenken muss, ob Bund und Land nicht stärker in die Pflicht zu nehmen sind." Denn für die Kampfmittelbeseitigung insgesamt hat die Stadt Göttingen in den vergangenen Jahren schon einen hohen siebenstelligen Betrag gezahlt.

Wojtek Bolimowski in seinem Gartenhaus. Der Boden wurde rausgerissen, weil hier Blindgänger liegen könnten.

Wojtek Bolimowski hat in seinem Gartenhaus schon mal den Boden rausgerissen. Genau hier muss gebohrt werden bei der Tiefensondierung.

Blindgänger werden nicht entschärft, sondern gesprengt

Seit dem Unfall vor 15 Jahren werden in Niedersachsen alle Blindgänger mit Langzeitzünder nicht mehr entschärft, sondern grundsätzlich gesprengt. In Göttingen liegen besonders viele Bomben mit solchen Säurezündern. Daher wurde das "Göttinger Modell" entwickelt: Eine "Burg" aus mit Wasser gefüllten Übersee-Containern wird an drei Seiten um die Bombe aufgestellt, dann kommt ein Dach darauf. Diese Konstruktion schützt vor Splittern und fängt die Wucht der Detonation ab.

Der Job als Sprengmeister

Eine hohe Sprengsäule ist nach der Sprengung von drei Weltkriegsbomben über Göttingen zu sehen. Gut zu erkennen sind die durch die Luft fliegenden Überseecontainer, die als Schutz vor Splittern aufgebaut wurden.

Eine Sprengung im Oktober 2024 war so stark, dass die Container durch die Luft geschossen wurden.

Dennoch bleibt die Arbeit an der Bombe gefährlich, sagt Sprengmeister Thorsten Lüdeke. Er denkt jeden Tag an seine Kollegen, die vor 15 Jahren ums Leben gekommen sind. Aber nicht, wenn er an den Blindgängern arbeitet: "In wichtigen Momenten, da blendet man so etwas aus und ist mit dem Kopf bei der Sache", sagt Lüdeke.

Anwohner hoffen auf Schrott statt Blindgängern

Die neuen Tiefensondierungen starten ab Ende Juni. Aus Sicherheitsgründen müssen Anwohner im Umkreis von 50 Metern um die Verdachtspunkte tagsüber ihre Wohnungen und Häuser verlassen. Ende Juli sollen die Ergebnisse der Sondierungen vorliegen. Noch hoffen die Anwohner, dass da nur Schrott liegt und kein Blindgänger.
Fortlaufend aktuelle Informationen zum Einsatz, darunter auch Antworten auf häufige Fragen, gibt es im Liveblog der Stadt Göttingen

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 01.06.2025 | 11:00 Uhr