
Mecklenburg-Vorpommern "Blitzeranhänger": Ein bundesweites Erfolgsmodell aus Wismar
Die Wismarer Firma Vetro verkauft und vermietet Blitzeranhänger nahezu deutschlandweit und verzeichnet seit Jahren steil steigende Gewinne. Der Betrieb mit seinen 74 Mitarbeitern expandiert weiter, denn die Nachfrage bei Kommunen und Polizei ist groß.
Mittlerweile steht er 96 Mal fast in ganz Deutschland, an Straßen oder Autobahnen, an Stellen eben, die als Unfallschwerpunkte gelten und an denen Autofahrer gebremst werden müssen. "Enforcement Trailer" heißt das beigefarbene Gefährt mit dem roten Blitzerstreifen auf der Stirnseite. 1,35 Tonnen schwer. Die meisten tragen das "HWI"-Kennzeichen und machen die Hansestadt damit jenseits von Backsteingotik bundesweit bekannt und manchmal auch etwas berüchtigt. Für Autofahrer ist es einfach nur der "Blitzeranhänger" aus Wismar, der sich mit einem kurzen, roten grellen Licht bemerkbar macht, wenn der eigene Wagen zu schnell unterwegs ist.
Keine "Abzocke"
Was für den Menschen hinterm Steuer fast immer ärgerlich ist, das ist für das Team bei Vetro schlicht das Ergebnis eigenen Fehlverhaltens. Firmengründer Klaus-Rainer Schmidt kann den Ärger über "seine" Blitzer zwar verstehen, er sei auch schon von der eigenen Technik geblitzt worden, aber: Geschwindigkeitsüberwachung trage nun einmal zur Verkehrssicherheit bei - angesichts von rund 2.800 Straßentoten sei die wichtiger denn je. Überhöhte Geschwindigkeit ist nach der jüngsten Verkehrsunfallstatistik in Mecklenburg-Vorpommern "weiter eine der häufigsten Unfallursachen". Sie ist für 650 Unfälle mit Personenschaden verantwortlich. Im Land ist die Zahl der tödlichen Unfälle zuletzt gestiegen, erinnern sie bei Vetro. Von "Abzocke" oder "Wegelagerei" wollen sie deshalb nichts hören.
Mutterkonzern in Hessen
In dem unscheinbaren Firmengebäude im kleinen Gewerbegebiet an der Westtangente von Wismar werden die Hänger endmontiert. Die nötigen Teile, vor allem das Innenleben mit Kamera, Sensoren und Batterien, kommt aus Wiesbaden, von der Mutterfirma Vitronic, die vor Jahren mit der Lkw-Erfassung im Zuge der Autobahnmaut groß geworden ist. Firmenpatriach Schmidt hat Vetro 2014 an die Wiesbadener verkauft, ist als Geschäftsführer im Unternehmen geblieben. Sein Vorteil: Vetro war bereits lange mit Technik zur Verkehrsüberwachung im Geschäft - mit sogenannten stationären Starenkästen oder mobilen Anlagen, mit denen aus dem Auto heraus "geblitzt" wurde.
Erste Aufträge in Schwerin und Grevesmühlen
Schmidts Vorgängerfirma CCS hatte ihre Anfänge nach der Wende in Mecklenburg-Vorpommern, mobile Anlagen gingen zunächst an die Landkreise Grevesmühlen und Schwerin. Digital war damals gar nichts, "Blitzerfotos" mussten noch ganz klassisch entwickelt werden. Eigenes Personal der Ordnungsämter musste die Geräte bedienen, auch um sicherzustellen, dass alles ordentlich funktionierte. Vetro erweiterte seinen Markt und kam immer besser ins Geschäft, 1997 baute die Firma den ersten "Starenkasten" in Bad Segeberg in Schleswig-Holstein, kurze Zeit später folgte Hamburg.
Eine Idee aus Frankreich
Mit Vitronic kam der "Blitzeranhänger" nach Wismar, der seinen Ursprung in Frankreich hatte. Die Verkehrsbehörden dort bestellt 2015 400 Stück. Vitronic und Vetro sorgten dafür, dass das Gefährt auch Deutschland "eroberte". Vetro nutzte dafür seine Vertriebskanäle, machte Kommunen die Vorteile des "Enforcement Trailers" schmackhaft: Leichtes Umsetzen, Verzicht auf eigenes Personal und Rund-Um-Wartung. Thomas Fabricius, Vertriebs- und Marketing-Chef bei Vetro, lobt die Dienstleistungsmentalität seiner 74 Mitarbeiter: "Wenn es mal nötig ist und eine Anlage ersetzt werden soll oder neu eingerichtet werden muss, dann unterbrechen die Leute auch ihren Urlaub." Das Betriebsklima sei spitze, ein Betriebsrat sei auch deshalb nicht nötig.
Lüdenscheid setzt auf "HWI"-Anhänger
Lüdenscheid in Nordrhein-Westfalen gehört zu den kommunalen Kunden, die das Vetro-Konzept überzeugt. Vier "HWI"-Anhänger hat die Stadt angemietet - zum Jahres-Mietpreis von 50.000 Euro pro Hänger. Die Kosten spielen die Geräte ohnehin wieder ein. Für Lüdenscheid sind sie aber nicht als Geldquelle wichtig. Die Stadt ächzt nach der Sperrung einer nahen Autobahnbrücke unter dem Durchgangsverkehr. Die Geräte sorgen auch dafür, dass Lkw sich an Durchfahrverbote halten - wenn nicht, dann werden sie vom Anhänger auf der verbotenen Ausweichstrecke "geblitzt".
Herzstück ist das "Poliscan FM1"
Das verbaute Mess-System "Poliscan FM1" - da sind sie bei Vetro stolz - ist mit seiner Laser-Technologie ebenso effektiv wie genau. Es kann zeitlich begrenzte Tempolimits überwachen, die beispielsweise vormittags an einer Schule gelten. Das System hat auch mehrere Fahrspuren im Blick. Die 23 Kilogramm schweren Batterien sorgen für einen Dauerbetrieb von mindestens einer Woche. Einmal im Jahr wird jedes Gerät geeicht, das Eichamt Nord hat im Wismarer Betrieb dafür eigene Testräume. Gemessene Geschwindigkeitsverstöße werden über Digitalfunk sofort an die Ordnungsämter weitergeleitet - inklusive Bild. Der Anhänger selbst ist mit einer Alarmanlage geschützt, einige Exemplare sind auch mit Kameras bestückt, um mögliche Angreifer zu erfassen.
Kameras gegen Vandalismus
Trotzdem sind die mobilen Messanlagen immer wieder Ziel von Attacken und Zerstörungswut - zuletzt wurde am Himmelfahrtswochenende ein Anhänger in Eberswalde in Brandenburg in Brand gesteckt. Bei Vetro schütteln sie den Kopf. Schneller Ersatz kostet Zeit und Geld. Und das Risiko, nach Vandalismus ermittelt zu werden, sei groß, so Thomas Fabricius. Seine Vetro steht ungeachtet der Attacken auf die Anhänger gut im Geschäft. Mittlerweile nutzt auch die Polizei die Dienste des privaten Anbieters. Umsätze und vor allem Gewinne steigen seit 2020 deutlich an. Im vergangenen Jahr fuhr die Firma 2,1 Millionen Euro Gewinn ein, ein neuer Spitzenwert.
Großauftrag aus Vorpommern?
Vetro gilt im Firmenverbund der Vitronic mittlerweile als "Diamant". In Geschäftsberichten heißt es regelmäßig, der Betrieb "erwartet nach einem sehr erfolgreichen Geschäftsjahr eine weiterhin positive Entwicklung". Ein Millionengeschäft könnte Vetro noch in diesem Jahr abschließen: Der Landkreis Vorpommern-Greifswald will seine alten "Starenkästen" durch moderne, leistungsfähige Blitzersäulen ersetzen. Vetro wird sich um den Auftrag bewerben, ihr Messsystem "Poliscan FM1" installieren sie auch in den Säulen am Straßenrand. Andere Bieter dürften mit im Angebotsrennen sein: Größter Konkurrent ist die Verkehrsüberwachungs-Sparte von Jenoptik mit Sitz in Monheim in Nordrhein-Westfalen. Im Herbst dürfte sich entscheiden, wer das Rennen macht.
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NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 06.06.2025 | 16:10 Uhr