Anna Schramowski steht auf einer Straße, der Hintergrund ist unscharf

Hessen Behördenpanne in Frankfurt: Wie Anna zur Tante ihres eigenen Kindes wurde

Stand: 19.03.2025 11:07 Uhr

Einmal falsch erfasst, für immer im System: Laut Geburtsurkunde war nicht Anna Schramowski die Mutter ihres Sohnes, sondern ihre Schwester. Der Fehler ist längst berichtigt – doch er geistert weiter durch die Bürokratie.

Von Andreas Bauer

Für die Frankfurterin Anna Schramowski ist der 13. März 2024 ein freudiges Ereignis – ihr Sohn Ole kommt zur Welt. Doch als sie wenige Tage später die Geburtsurkunde vom Standesamt Frankfurt erhält, traut sie ihren Augen nicht: Laut offizieller Urkunde ist nicht sie, sondern ihre Zwillingsschwester Sarah als Mutter eingetragen.

"Ich war fassungslos. So eine Geburtsurkunde ist ja ein sehr wichtiges Dokument", sagt die 34-jährige Projektleiterin für Personalentwicklung eines Frankfurter Unternehmens.

Beim Übertragen der Daten schlicht vergessen worden

Der Grund für die Verwechslung: Beim Übertragen des alten handschriftlichen Geburtsregisters in ein digitales System ist Annas Datensatz nach Angaben des Standesamts schlicht vergessen worden. Gleicher Nachname, gleicher Geburtstag, doch nur eine der beiden Schwestern schaffte es ins Suchregister. Ein Fehler bei der Digitalisierung.

Die Geburtsurkunde von Anna existierte zwar weiterhin, aber es fehlte die Zuordnung, die Verknüpfung im Suchverzeichnis. Die Konsequenz? Als eine Mutter für Ole gesucht wurde, fiel die Wahl auf Sarah.

"Dann fing das Chaos erst richtig an"

"Es tut uns unendlich leid, dass dieser Fehler passiert ist", sagt Andrea Hart, Amtsleiterin des Frankfurter Standesamts. Innerhalb einer Woche korrigierte das Amt die falsche Geburtsurkunde. Anna nahm es zunächst mit Humor. "Irgendwie war die Verwechslung ja auch lustig", sagt sie. Doch das war mitnichten das Ende der Geschichte.

Denn inzwischen hatte sich die Maschinerie deutscher Behörden in Gang gesetzt und begann, neue Realitäten zu erschaffen. "Dann fing das Chaos erst richtig an", erzählt Anna Schramowski.

Wer wohnt eigentlich wo?

Plötzlich erhielt Anna Post vom Jugend- und Sozialamt – allerdings an Sarahs Adresse. Sarah wiederum wurde von der Rentenversicherung wegen Erziehungszeiten angeschrieben und vom Uniklinikum mit ihrem angeblichen Kind zur Kindervorsorgeuntersuchung U4 eingeladen. Sogar das Standesamt meldete sich erneut bei Anna – aber unter Sarahs Adresse.

Plötzlich war die Frage nicht mehr nur, wer Ole geboren hat, sondern wo eigentlich Anna und Sarah wohnen. Die Systeme schienen heiß zu laufen.

Einmal falsch erfasst – für immer in den Akten

Standesamtsleiterin Hart versichert, dass alle relevanten Stellen über den ursprünglichen Fehler unterrichtet worden seien. Doch offenbar folgte das System längst eigenen Gesetzen. "Mehrere Behörden meldeten zurück, dass frühere Verknüpfungen im System weiterhin wirksam seien", sagt Hart.

Wenn dann etwas schiefgelaufen ist, können Sie es fast nicht mehr aufhalten. Andrea Hart, Amtsleiterin des Frankfurter Standesamts

Die Digitalisierung von Melde- und Personenstandsdaten habe viele Vorteile und erleichtere Bürgerinnen und Bürgern viele Behördengänge, betont sie. In weit über 99 Prozent der Fälle funktioniere das System reibungslos.

Doch dieser Automatismus bedeute auch, dass eine fehlerhafte Beurkundung automatisch zunächst an zahlreiche Stellen weitergeleitet werde. "Wenn dann etwas schiefgelaufen ist, können Sie es fast nicht mehr aufhalten", resümiert Hart.

Einmal im System, immer im System. Die Verwaltung als in sich geschlossenes Universum, das einmal in Bewegung gesetzt, sich von Realitäten nicht mehr beeindrucken lässt.

Der Versuch, das System zu stoppen

Natürlich versuchte auch Anna, in dieses bürokratische Universum einzugreifen. Sie nahm die Sache selbst in die Hand, informierte Behörde um Behörde. Schließlich sollte jeder wissen, wer Ole wirklich zur Welt gebracht hat. "Es war unglaublich ermüdend. Ich hatte irgendwann das Gefühl, jeder schiebt die Verantwortung auf andere", berichtet sie.

So erklärte sich etwa die Rentenversicherung für nicht zuständig, da die Post von einer Außenstelle in einem anderen Bundesland stammte. Auf ihr Anschreiben an die zuständige Stelle gab es bis heute keine Antwort. Ein korrigiertes Dokument? Fehlanzeige.

Und die Geschichte geht weiter …

Vor wenigen Tagen dann der nächste Akt: Plötzlich tauchte auf Sarahs Gehaltsabrechnung ein Kinderfreibetrag auf. Sarah hat keine Kinder. Natürlich rief Anna beim Finanzamt an, um das klarzustellen. Die Antwort habe gelautet: "Das können wir nicht einfach löschen, die Daten kommen vom Einwohnermeldeamt."

Ich habe das Gefühl, es ist noch nicht vorbei. Man fragt sich, was noch alles kommen könnte. Anna Schramowski, Mutter

Die unfreiwillige Langzeitstudie durch die deutsche Bürokratie geht für Anna also weiter. Ihre Zwischenbilanz: "Ich habe das Gefühl, es ist noch nicht vorbei. Man fragt sich, was noch alles kommen könnte", sagt sie.

Ihr Sohn Ole ist mittlerweile ein Jahr alt – und wer weiß? Vielleicht muss die Familie warten, bis Ole selbst Beamter wird, um dann seinen eigenen Fall zu korrigieren.