
Hamburg Schleswig-Holstein Opposition sieht offene Fragen zur Messerattacke von Hamburg
Nach der Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses sieht die Opposition offene Fragen zur Messerattacke von Hamburg. Die Tatverdächtige ist der Polizei in den letzten Monaten immer wieder aufgefallen.
Details gab es nur im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung im schleswig-holsteinischen Landtag. Gesundheits- und Justizminsterin Kerstin von der Decken (CDU) listete im öffentlichen Teil nach einer allgemeinen Einführung zu den verschiedenen Unterbringungsmöglichkeiten und Informationsketten bei psychisch auffälligen Menschen nur die Fälle auf, in denen die Tatverdächtige der Messerattacke am Hamburger Hauptbahnhof vom 23. Mai schon polizeilich aufgefallen war:
- Am 6.11.2024 kündigte die Frau gegenüber ihrem Vater einen Suizid an und landete in einer psychiatrischen Einrichtung
- Am 20.12.2024 wurde sie von den Eltern als vermisst gemeldet. Einen Tag später tauchte sie wieder auf und wurde wieder in eine Klinik eingewiesen.
- Am 5.1.2025 kam es dann zu dem schon bekannten Angriff auf die Eltern in deren Wohnung in Großhansdorf (Kreis Stormarn) Die Frau befand sich, wie es hieß, in einem "psychischen Ausnahmezustand" und wurde wieder in einer Einrichtung untergebracht.
Kannte die Klinik die Vorgeschichte?
Im Mai wurde die Frau dann drei Wochen lang in einer anderen geschlossenen Einrichtung im Kreis Cuxhaven in Niedersachsen untergebracht. Am Tag vor der Tat in Hamburg wurde sie aus der Klinik in der Nähe von Bremerhaven entlassen. Ob man dort die Vorgeschichte der Frau gekannt habe, fragte Bernd Buchholz von der FDP im Ausschuss. Das sei eine "zentrale Fragestellung." Die Ministerin wusste es nicht.

Wer wusste was? Niclas Dürbrook (SPD, links) und Bernd Buchholz (FDP) haben offene Fragen.
Auf die Tagesordnung gesetzt hatte das Thema der SPD-Innenpolitiker Niclas Dürbrook. Vor allem, weil er Lücken sieht, wenn es um die Weitergabe von Informationen über die Ländergrenzen hinweg geht. Nach der Sitzung hat sich dieser Eindruck für ihn bestätigt, dass es ein "massives Defizit" dabei gibt. Etwa, weil es kein geregeltes Verfahren für einen solchen Austausch bei den sozialpsychiatrischen Diensten gibt. "Massiv" sei auch sein Störgefühl, sagt Dürbrook, nachdem sich die Türen des Saals nach dem nicht-öffentlichen Teil der Sitzung wieder geöffnet haben.
Die Abläufe, die uns heute geschildert wurden, die machen zumindest bei mir ein großes Fragezeichen, warum diese Person zu dem Zeitpunkt in der Öffentlichkeit unterwegs sein konnte.
Vor allem das Gesundheitsministerium, ergänzt Dürbrook später noch, habe "dringend Hausaufgaben zu erledigen."
SH will nachbessern - einfach so
Die Gesundheits- und Justizministerin setzt unter anderem darauf, dass die elektronische Patientenakte hilft, Ärzte und Kliniken über die gesundheitliche Vorgeschichte von Patienten - und eben auch psychisch auffälligen Gewalttätern - aufzuklären. Kerstin von der Decken sieht darin ein "unglaubliches Potential" - allerdings, räumt sie ein, können Patienten ja gegen die Verwendung ihrer Daten Widerspruch einlegen.
Auf Landesebene kündigte die Ministerin an, dass man dort an "erweiterten Mitteilungspflichten" arbeite. Bei der Informationsweitergabe sei eine "kontinuierliche Anpassung" nötig. Konkrete Defizite seien aber nicht Anlass für diese Nachbesserungen. Auch auf Bundesebene soll etwas passieren: Unter anderem soll sich die Gesundheitsministerkonferenz in der kommenden Woche mit dem Thema beschäftigen.

Kontinuierliche Anpassung: Gesundheits- und Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) arbeitet an Nachbesserungen.
Der Vorsitzende ist schon lange genervt
"Da hoffe ich auf sehr schnelle Ergebnisse", sagt SPD-Mann Dürbrook. Dass es Verbesserungsbedarf beim Informationsfluss zwischen Behörden gibt, weiß der Ausschussvorsitzende Jan Kürschner (Grüne) aus seiner Arbeit als Strafverteidiger: "Mich nervt das als Praktiker schon seit vielen Jahren."
Auch die Nachsorge und Betreuung von Patienten sei ein Problem, und es fehle an Wohneinrichtungen für Betroffene. Die Frage, ob die Beschuldigte von Hamburg und Großhansdorf einen Betreuer gehabt habe, beantwortet Ministerin von der Decken nicht im öffentlichen Teil der Sitzung.
Antrag auf psychiatrische Unterbringung wurde erst abgelehnt
Die Staatsanwaltschaft Lübeck hatte im Laufe des Verfahrens nach dem Angriff auf die Eltern in Großhansdorf beim Amtsgericht Lübeck die Anordnung einer einstweiligen Unterbringung der 39-Jährigen in einem psychiatrischen Krankenhaus beantragt. Das Amtsgericht lehnte diesen Antrag jedoch ab. Parallel dazu beantragte der Sozialpsychiatrische Dienst ebenfalls die Unterbringung in einer Psychiatrie, was vom Gericht genehmigt wurde. Wie lange sie dort blieb, ist unklar.
Landgericht Lübeck will mit aufklären
Die Hürden für eine Einweisung in eine forensische Klinik - also eine Einrichtung zur Behandlung psychisch erkrankter Straftäter - sind hoch. Anträge von Staatsanwaltschaften auf eine solche Maßnahme sind überschaubar: Die Zahl liegt jährlich zwischen 10 und 35, teilte ein Vertreter des Ministeriums im Ausschuss mit.
Das Landgericht Lübeck, das einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einweisung in eine solche Klinik in zweiter Instanz zurückgewiesen hatte, betont in einem Beitrag auf seiner Homepage: Eine Unterbringung komme laut Bundesverfassungsgericht nur "als letztes Mittel in Betracht", wenn andere Maßnahmen keinen ausreichend zuverlässigen Schutz böten.
Bleibt die Frage, die auch manche Abgeordnete sich nach wie vor stellen: Hätte die Tat verhindert werden können? Das Landgericht Lübeck schreibt dazu, auch bei der Einweisung in eine forensische Klinik hätte das nicht unbedingt bedeutet, dass sie dort länger geblieben wäre. Um die Frage zu beantworten, müsste man etwa wissen, ob eine Behandlung in einer solchen Klinik erfolgreich gewesen wäre.
Tatverdächtige nach Angriff in Hamburg in Psychiatrie untergebracht
Nach dem Angriff im Hamburger Hauptbahnhof sitzt die Tatverdächtige erneut in der Psychiatrie. Ein Haftrichter hatte sofort nach der Tat ihre Unterbringung in einer Klinik angeordnet. Am Montagnachmittag (26.5.) wurde sie laut NDR Informationen in die geschlossene Station des psychiatrischen Krankenhauses Ochsenzoll überführt.
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 02.06.2025 | 19:30 Uhr