
Brandenburg Zukunft der ärztlichen Versorgung: Was Brandenburg von Sachsen bei der Geburtshilfe lernen könnte
In Forst wird im Juli eine weitere Geburtsstation in Brandenburg schließen. Wie können Gebärende trotzdem sicher und gut versorgt werden? Ein Modellprojekt in Sachsen könnte auch für Brandenburg Vorbild sein. Von Ute Barthel und Christin Simon
- Ärztemangel und Geburtenrückgang führen zu Schließungen von Geburtsstationen
- ARD-Recherchen belegen Risiken für Mutter und Kind bei kleinen Kliniken
- Telemedizin und Klinikverbund als Lösung
"Wir sind einfach sehr traurig, dass dieser Ort, der für viele junge Familien so wichtig ist, nun geschlossen werden soll", sagt Laura Staudacher. Die FDP-Politikerin und Mitbegründerin des Vereins "Junge Lausitz" kam 1998 in Forst zur Welt, obwohl ihre Eltern damals in Cottbus lebten. Aber ihre Mutter entschied sich für Forst, weil der Ruf der Geburtsstation so hervorragend war.
Vergangenes Jahr hat die 26-Jährige nun selbst eine Tochter in der Lausitz-Klinik entbunden. Auch deshalb wollte sie nicht einfach so hinnehmen, dass die Station nun im Juli schließen soll. Sie sammelte Unterschriften und organisierte im Februar eine Protestdemonstration.

Nur 229 Geburten und zu wenig Fachpersonal
Der Geschäftsführer der Lausitz-Klinik, Hans-Ullrich Schmidt, kann die Emotionen der Forster verstehen. Er hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Erst 2014 wurde die Station für zwei Millionen Euro komplett renoviert. Schmidt schwärmt von dem tollen Team, das Arbeiten mache richtig Spaß.
Aber die meisten Zimmer stehen leer. Im vergangenen Jahr gab es gerade mal 229 Geburten. Hinzu kommt, dass viele der FachärztInnen bereits über 60 Jahre alt sind und es kaum Nachwuchs gibt. "Wir suchen seit sieben Jahren einen Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, aber wir finden keinen", berichtet Schmidt.
Mit diesem Problem kämpfen inzwischen viele Kliniken in Brandenburg. Die geplante Schließung der Gynäkologie des Elbe-Elster Klinikums in Herzberg (Landkreis Elbe-Elster) wurde erst Ende Mitte vergangenen Jahres abgewendet, als neue Kinderärztinnen und Gynäkologinnen eingestellt werden konnten. Doch seit 2015 haben insgesamt sechs Geburtsstationen in Brandenburg geschlossen. Mit Forst wären es sieben.
ARD-Recherche: Einige Kliniken verstoßen gegen Richtlinie
In Deutschland sind die Geburtsstationen in verschiedene Versorgungsstufen eingeteilt. Die Lausitz-Klinik ist eine Geburtsstation der untersten Versorgungsstufe, eine sogenannte Level-4-Klinik. Denn es gibt keine Pädiatrie, also keine Kinderärzte in der Klinik. Deshalb sollen hier nur Frauen mit unkomplizierten Schwangerschaften entbinden. Frauen mit Risikoschwangerschaften werden von den Forster Gynäkologen deshalb schon heute zur Cottbuser Uniklinik, einer Level-1-Klinik, überwiesen.
In Deutschland gibt es für Risikoschwangerschaften eine klare Richtlinie. Die Entbindung soll nur von Kliniken mit spezieller Ausstattung und fachlicher Expertise durchgeführt werden. Insbesondere Frühgeburten von Babys unter 1.250 Gramm Gewicht sollen nur in Level-1-Krankenhäusern wie der Universitätsklinik Cottbus stattfinden.
Doch immer wieder verstoßen Kliniken gegen diese Richtlinie und führen Geburten durch, für die sie nicht ausreichend qualifiziertes Personal haben, wie eine ARD-Recherche zeigt. [tagesschau.de] Die Folgen sind oft dramatisch, wenn es beispielsweise während der Geburt zu einem Sauerstoffmangel für das Neugeborene kommt und es nicht rechtzeitig adäquat versorgt wird.
Der Präsident der Gesellschaft für Perinatale Medizin, Mario Rüdiger, ist der Überzeugung, dass für Geburten generell bestimmte Voraussetzungen gegeben sein sollten, um Mutter und Kind zu schützen. Im ARD-Interview sagt Rüdiger, dass "eine Geburt nur dort stattfinden sollte, wo ein Kinderarzt vorhanden ist. Und zwar 24 Stunden, sieben Tage die Woche." Der Tag der Geburt sei der Tag, "an dem die meisten Menschen sterben. Und wenn wir dieses Risiko haben, dass es unter der Geburt zu Problemen kommt, dann muss ich eine adäquate Abdeckung haben. Und das ist ein Kinderarzt."

Modellprojekt in Sachsen: Verbund verschiedener Geburtsstationen
Perspektivisch sollte es in Deutschland keine Level-4-Kliniken mehr geben. So empfiehlt es die Regierungskommission für eine zukunftsfähige Geburtshilfe. Nur noch Krankenhäuser mit angeschlossener Kinderklinik und mindestens 500 Geburten im Jahr sollen Schwangere betreuen. Kleinere Kliniken sollen sich zusammenschließen, um mindestens 500 Geburten jährlich zu erreichen – und in einem Kompetenzverbund mit den größeren Kliniken mit höherem Versorgungslevel kooperieren.
Das gibt es bereits heute in Sachsen als Modellprojekt. Die Uniklinik Dresden übernimmt als Maximalversorgerin die Risikogeburten und kooperiert mit den Geburtsstationen in Bautzen, Görlitz, Meißen, Freiberg, Hoyerswerda, Riesa, Freital und Zwickau. Wenn sich der Zustand der Kinder nach den ersten kritischen Wochen stabilisiert hat, können die Babys und Mütter wieder in ihre heimatnahen kleineren Kliniken verlegt werden.

Geburtsstation in Forst
Unterstützung per Telemedizin
Mario Rüdiger leitet das Netzwerkprojekt "Sichere Geburt". Es gehe darum, die Expertise der hochqualifizierten Ärzte der Uniklinik mit den Kollegen in den anderen Kliniken der Region zu teilen, sagt er. Dabei spielt Telemedizin eine wichtige Rolle. So können die Ärzte der kleineren Klinik die Kollegen aus der Uniklinik jederzeit per Videocall dazuschalten, wenn es bei einer Geburt zu unvorhergesehenen Komplikationen kommt.
"Das heißt nicht, dass die Kollegen vor Ort keine Ahnung haben, sondern die Erfahrung ist einfach nicht so groß. Und da hilft es, wenn man sozusagen über die Schultern schaut und einen kleinen Tipp geben kann", erklärt Rüdiger. "Wir hatten schon mindestens vier Kinder, die davon profitiert haben, weil sie nicht darauf warten mussten, dass wir dahingefahren oder hingeflogen sind und erst eine halbe Stunde oder eine Stunde später vor Ort waren."
Das sächsische Netzwerk "Sichere Geburt" sei der richtige Ansatz, sagt Andrea Stewig-Nitschke. Sie arbeitet als Pflegevorständin an der Medizinischen Universität Carl-Thiem in Cottbus. Es gehe "um Fachexpertise", die durch die "Einbindung von digitalen Technologien" überall verfügbar gemacht werden solle, sagt Stewig-Nitschke. Dazu wird derzeit gemeinsam mit sächsischen Partnern im Projekt "Modellregion Gesundheit Lausitz" geforscht. Die Ergebnisse aus dem Dresdner Projekt werde man sich genau anschauen und an den Bedarf in der Region anpassen.
Bis 2026 wird das Dresdner Projektie "Sichere Geburt" mit Mitteln des Innovationsfonds des gemeinsamen Bundesausschusses der gesetzlichen Krankenkassen und der Ärzte- und Krankenhausvereinigungen gefördert.
Hans-Ullrich Schmidt von der Lausitz-Klinik in Forst hält die Dresdner Verbundlösung für ein kluges Konzept. Aber es komme für Forst nicht mehr in Frage, denn man könne einfach nicht genügend Fachärzte vorhalten. Die werdenden Mütter müssten künftig zwar 30 Kilometer weiter nach Cottbus fahren, aber eine Unterversorgung drohe nicht in der Region.
Die Lausitz-Klinik will sich nun mehr auf die älteren Patienten konzentrieren und in der Geburtshilfe nur noch Angebote für die Vor- und Nachsorge anbieten. "Uns blutet zwar das Herz", so der Klinikchef. "Aber es ist der richtige Weg."
Sendung: rbb24 Inforadio, 15.04.2025, 9 Uhr