
Brandenburg Auswärtiges Amt warnt vor russischen Vertretern - Vize-Landrat: "Das ist absurd"
80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs fällt der Umgang mit den einstigen Befreiern schwer. Das Auswärtige Amt rät, russische Vertreter vom Gedenken auszuschließen - auf den Seelower Höhen ist der russische Botschafter willkommen.
- Auswärtiges Amt warnt vor russischer Instrumentalisierung bei Kriegsopfergedenken
- Stilles Gedenken an Opfer des Zweiten Weltkrieges in Seelow am Mittwoch
- Märkisch-Oderland nennt Handlungsempfehlung "absurd"
- Ukrainischer Botschafter kritisiert russische Teilnahme
Das Auswärtige Amt warnt vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor einer möglichen Vereinnahmung von Gedenkveranstaltungen zum Ende des Zweiten Weltkriegs durch russische oder belarussische Vertreter.
In einer nun bekannt gewordenen vertraulichen Handreichung, die dem rbb vorliegt und die bereits im Januar an Kommunen und Gedenkstätten versandt wurde, heißt es, dass mit "massiver Propaganda, Desinformation und geschichtsrevisionistischer Verfälschung" zu rechnen sei. Demnach empfiehlt das Ministerium, keine offiziellen Vertreter Russlands oder Belarus einzuladen – und sie im Zweifel auch nicht zuzulassen. Zuerst hatte die "Berliner Zeitung" berichtet.
Das Brandenburger Innenministerium bestätigte auf rbb-Anfrage, dass es die Handreichung an die Landkreise und kreisfreien Städte auf Bitten des Auswärtigen Amtes versandt habe. Eine Bewertung oder Weisung durch das Ministerium sei damit nicht erfolgt.
Am Mittwoch erinnern der Landkreis Märkisch-Oderland und die Stadt Seelow an die Schlacht um die Seelower Höhen vor 80 Jahren - die größte und verlustreichste Schlacht des Zweiten Weltkriegs auf deutschem Boden.

Vize-Landrat zur Handlungsempfehlung: "Das ist doch absurd"
Sowohl die Kreisverwaltung als auch das Rathaus Seelow bestätigten dem rbb, dass ihnen die Handlungsempfehlungen des Auswärtigen Amtes ebenfalls vorliegen würden.
Friedemann Hanke (CDU), Vize-Landrat von Märkisch-Oderland, zeigte sich irritiert über das Ministeriumsschreiben. "Die Frage ist, was bezweckt man mit der Handreichung", so Hanke gegenüber dem rbb. Russische Vertreter seien jedes Jahr bei Gedenkveranstaltungen anwesend – auch diesmal werde der russische Botschafter Sergej Netschajew wohl erscheinen. Bereits Ende Januar nahm der er bei einer Gedenkveranstaltung in Kienitz teil, wo der Opfer des Zweiten Weltkriegs gedacht sowie an die Befreiung durch die Rote Armee vor 80 Jahren erinnert wurde.
Hanke lehne es ab, den russischen Botschafter des Geländes zu verweisen. "Das werden wir auf keinen Fall. Er wird mit dem ihm gebührenden Respekt begrüßt." Sollte es Störungen geben, werde der Landkreis von seinem Hausrecht Gebrauch machen, sagte Hanke. Aber man könne doch nicht den höchsten Vertreter eines Landes von einem Gedenken an die eigenen Landsleute ausschließen. "Das ist doch absurd". Der Hinweis des Ministeriums auf das Hausrecht sei "quatsch", so der CDU-Politiker. "Es kann doch nicht Ziel von Diplomatie sein, einen Botschafter vor die Tür zu setzen." Die Gedenkstätte sei eine international geschützte Kriegsgräberstätte.

Gedenkveranstaltungen wurden schon häufiger für Propaganda verwendet
Gleichzeitig bestätigte Hanke, dass Gedenkveranstaltungen bereits in der Vergangenheit für russische Propaganda genutzt worden seien. "Fernseh-Teams von 'Russia Today' und anderen Sendern waren anwesend, wo der Militärattaché oder wer auch sonst entsprechende Sachen ins Mikrofon sagt. Russland ist im Krieg und nutzt das hier."
Die Propaganda strahle vor allem nach Russland aus. Um dennoch eine Instrumentalisierung weitestgehend zu vermeiden, setzen Kreis und Stadt auf das stille Gedenken ohne Reden, so Hanke weiter, der am Mittwoch die Gedenkveranstaltung eröffnen wird. "Wir feiern hier nicht eine siegreiche Sowjetmacht, sondern gedenken derjenigen, die hier ihr Leben gelassen haben und dass Krieg letztlich immer heißt, dass Menschen sterben", betonte Hanke.
So führte er an, dass in Seelow neben deutschen und russischen unter anderem auch zahlreiche Soldaten aus Polen, der Ukraine, Kasachstan und anderen Nationen des ehemaligen sowjetischen Reiches begraben liegen. Ziel müsse sein, einen würdevollen Umgang zu finden.
Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge sieht Ausschluss kritisch
Auch Seelows Bürgermeister Robert Nitz sieht keinen Grund für eine politische Aufladung. Die russische Botschaft sei nicht offiziell eingeladen worden, man wolle keine Bühne bieten – das Gedenken sei ausdrücklich still und würdevoll geplant. Die Sowjetunion habe Deutschland vom Faschismus befreit, sagte Nitz. Gleichwohl müsse man klar unterscheiden: "Es ist unstrittig, dass Russland die Ukraine überfallen hat. Genau vor diesem Hintergrund muss man mit der Sache besonnen umgehen."
Sina Schönbrunn, Seelowerin und SPD-Abgeordnete im Brandenburger Landtag für den Landkreis Märkisch-Oderland, sagte am Mittwoch im rbb24 Inforadio, sie finde es "recht absurd", so ein Schreiben herauszugeben, auch wenn sie die Sorge des Auswärtigen Amtes verstehen könnte. Ihrer Meinung nach sei es unsinnig, den höchsten Vertreter eines Landes, also den russischen Botschafter, auszuladen, der seiner Landsleute gedenken wolle. Sie geht davon aus, dass es keine Instrumentalisierung des Gedenkens geben werde.
Oliver Breithaupt vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge sagte, dass nicht einfach Personen von Kriegsgräberstätten ausgeschlossen werden könnten. Sie seien Orte öffentlichen Interesses und Gedenkens. "Man kann nicht ausschließen, dass ausländische Diplomaten die Kriegsgräberstätten betreten", erklärt Breithaupt. "Ein Verbot, Ausschluss oder Anweisung, Diplomaten abzuweisen oder am Betreten einer Kriegsgräberstätte zu hindern, sind mir nicht bekannt". Veranstalter hätten zwar Hausrecht – bei einer öffentlichen Gedenkveranstaltung wie in Seelow dürfe grundsätzlich jede Person teilnehmen.
Ukrainischer Botschafter kritisiert russische Teilnahme an Gedenkveranstaltungen
Der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev zeigte dagegen Verständnis für die Handlungsempfehlung des Auswärtigen Amtes: "Russland hat mit Unterstützung von Belarus den Krieg nach Europa zurückgebracht, und zum ersten Mal seit 1945 wird hier versucht, Grenzen mit Gewalt zu verschieben. Diese Entscheidung, keine Vertreter von Russland oder Belarus einzuladen, ist deshalb vollkommen gerechtfertigt", sagte Makeiev dem rbb. In seinen Augen versuche Russland schon lange, die Geschichte für politische Zwecke zu missbrauchen. "Russland präsentiert sich als einziges Opfer und als einziger Sieger über den Nationalsozialismus. Diese Lüge wird seit Jahrzehnten verwendet, um Deutschland zu manipulieren. Doch kein Land hat das Recht, die Geschichte für sich alleine zu beanspruchen", sagte der ukrainische Botschafter.
Die ukrainische Gemeinde werde keine sowjetischen Gedenkstätten besuchen, "das machen wir grundsätzlich nicht". An die Opfer werde aber erinnert: "Jedes Jahr am 8. Mai lege ich an der Neuen Wache in Berlin Blumen nieder zum Gedenken an die Ukrainerinnen und Ukrainer, die während des Zweiten Weltkriegs Opfer des Nazi-Deutschlands wurden". Damit solle auch der Beitrag der Ukrainer zum Sieg über den Nationalsozialismus gewürdigt werden.

Gedenkveranstaltungen in Berlin und Brandenburg geplant
Am 16. April 1945 begann der Angriff sowjetischer Truppen auf die Seelower Höhen. Rund eine Million Soldaten der 1. Weißrussischen Front trafen auf etwa 130.000 deutsche Verteidiger. Ziel war der Durchbruch nach Berlin. Die mehrtägige Schlacht gilt als die verlustreichste auf deutschem Boden. Schätzungen sprechen von rund 33.000 gefallenen sowjetischen und 12.000 deutschen Soldaten.
Am 8. Mai 1945 endete mit der Kapitulation der Wehrmacht der Zweite Weltkrieg in Europa. Zahlreiche Veranstaltungen erinnern an das Kriegsende vor 80 Jahren. So finden beispielsweise auch in Potsdam, Plessa (Elbe-Elster), Perleberg (Prignitz) und Prenzlau (Uckermark) Gedenkveranstaltungen statt. Berlin plant vom 2. bis 11. Mai eine Gedenkwoche mit rund 100 Veranstaltungen.
Mit Material von Tony Schönberg
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 16.04.2025, 19:30 Uhr