
Aufklärung von NS-Verbrechen Letztes Kapitel für die Nazijäger?
Auch 80 Jahre nach Kriegsende sucht die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg nach Beteiligten am Massenmord der Nazis. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.
18. Mai 1992: Das Landgericht Stuttgart verurteilt den ehemaligen SS-Oberscharführer und Lagerkommandanten Josef Schwammberger wegen Mordes an 25 Menschen und Beihilfe zum Mord in 641 Fällen zu lebenslanger Haft. Schwammberger ist zu diesem Zeitpunkt 80 Jahre alt, seine Verbrechen liegen schon damals über 45 Jahre zurück. Er stirbt 2004 im Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg bei Stuttgart im Alter von 92 Jahren.
Angestoßen wurde das Verfahren - wie viele andere - von der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. 1958 wurde sie gegründet. Ihre Aufgabe: Kriegsverbrecher aufspüren, Vorermittlungen führen und die Verfahren dann an die Justiz weitergeben.
Zu Beginn ihrer Arbeit galten die Ermittler der Aufklärungsstelle als Nestbeschmutzer. Anfeindungen waren an der Tagesordnung. Doch die Behörde hat einen langen Atem bewiesen, auch heute noch gibt es immer wieder eingeleitete Verfahren. Rund 7.700 waren es seit der Gründung.
Riesige Kartei mit Täterdaten
"Mord verjährt nicht. Das ist der Grund, weshalb wir heute noch tätig sind als Vorermittlungsbehörde", sagt Thomas Will, Oberstaatsanwalt und Behördenleiter. Dutzende Meter lang sind die Regalreihen in den Archiven seiner Behörde. 1,76 Millionen Karteikarten umfasst die Zentralkartei. Mit Namen und Adressen von mutmaßlichen Mördern und Mordhelfern, die wichtige Räder waren in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis im Dritten Reich.
Die Informationen speisen sich meist aus Dokumenten der damaligen Zeit - Einsatzberichte, Kompanielisten, Wehrpässe. Denn an Zeugenaussagen zu kommen, das sei von jeher schwierig gewesen: "Die Massentötungen sind ja dadurch gekennzeichnet, dass nur sehr wenige Zeugen überlebt haben." Und selbst von den Zeugen, die damals überlebt haben, sind mittlerweile viele aufgrund ihres hohen Alters gestorben. Dennoch: Auch 80 Jahre nach Kriegsende gibt es Erfolge.
Immer noch neue Verdächtige
"Wir haben die letzten Jahre Tausende von neuen Personen für die Zentralkartei ermittelt", sagt Oberstaatsanwalt Will. Viele habe man natürlich als "verstorben" vermerken müssen. "Aber es gab alleine in den letzten Jahren immer wieder Verfahren gegen noch Lebende - und auch Urteile gegen Personen."
Wie am 12. Mai 2011: Das Landgericht München verurteilt John Demjanjuk, einen ehemaligen Wachmann des Vernichtungslagers Sobibor, wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Ein historischer Prozess, denn Demjanjuk war der erste nichtdeutsche Wachmann eines NS-Todeslagers, der verurteilt wurde - auch wenn ihm keine der Taten individuell nachgewiesen werden konnte. Demjanjuk starb, bevor über die von ihm und der Staatsanwaltschaft eingelegten Revisionen entschieden war.
Nicht untypisch für die Arbeit der Nazijäger. Der Alltag der Zentralen Stelle in Ludwigsburg ist seit Jahren ein Wettlauf gegen die Zeit - und wird es mit jedem Jahr, das der Krieg weiter zurückliegt, mehr. Man sei deshalb, so Behördenleiter Will, "im Schlussbereich der NS-Verfolgung" angekommen. Ein Ende sei in den nächsten Jahren in Sicht.

Karte von John Demjanjuk: 2011 wurde der ehemalige Wachmann verurteilt.
Vom Ermitteln zum Vermitteln
Und dann? Was wird aus der Zentralen Stelle in Ludwigsburg, wenn sie ihre aktive Ermittlungsarbeit eingestellt hat? Dann gehe man vom Ermitteln zum Vermitteln über, sagt Marion Gentges, CDU-Justizministerin von Baden-Württemberg. "Wenn die Zentrale Stelle keine Vorermittlungen mehr zu führen hat, wird sie zu einem Ort des Erinnerns, des Lernens und der Begegnung umgestaltet werden. Schon heute arbeiten wir mit dem Haus der Geschichte an entsprechenden Konzepten, um auch tatsächlich begreifbar zu machen, was die Zentrale Stelle ausmacht und welchen großen Dienst sie geleistet hat."
Ein Dienst, der erst einmal aber noch nicht zu Ende ist - auch acht Jahrzehnte nach Kriegsende. Noch mehrere Dutzend Personen aus Konzentrationslagern oder ähnlichen Einrichtungen seien trotz vorhandener Geburtsdaten, Geburtsort und vollständiger Namensangabe noch nicht ausfindig gemacht worden, sagt Thomas Will. Die Behörde hat den Anspruch, den Verbleib möglichst vieler von ihnen zu klären - unabhängig davon, ob mittlerweile verstorben oder noch am Leben.