
NATO-Manöver in der Ostsee Wie leistungsfähig ist die deutsche Marine?
Schattenflotte oder zerstörte Datenkabel: Russland sucht in der Ostsee den Konflikt mit dem Westen und testet unentwegt die Wachsamkeit der NATO. Mit einem großen Seemanöver bereitet die sich vor.
Es war kein Zufall, dass die Pressekonferenz des finnischen Regierungschefs Petteri Orpo und des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz Anfang der vergangenen Woche in einem Marinemuseum in Turku stattgefunden hat.
Denn die skandinavischen Regierungschefs wollten dem deutschen Kanzler klar machen, dass die alltäglichen Spannungen zwischen Russland und den NATO-Staaten auf der Ostsee zunehmen. Merz machte keine Hilfszusagen, er will sich erst ein persönliches Bild vom Zustand der Marine machen.
Zahlreiche Konfliktlinien
In der Ostsee geht es um hybride Angriffe, um Spionage, gekappte Datenkabel und beschädigte Pipelines. Es geht aber auch um die russische Schattenflotte und eine zunehmende militärische Konfrontation. Als Mitte Mai beispielsweise die estnische Marine einen Tanker der russischen Schattenflotte inspizieren wollte, ist ein russischer Kampfjet für kurze Zeit in den NATO-Luftraum eingedrungen.
Russland will mit seiner Schattenflotte sein Öl zu zahlungswilligen Kunden bringen und so die Kriegskasse füllen. Und als aktuell die deutsche Fregatte "Bayern" auf dem Weg zum BALTOPS-Manöver nach Rostock war, wurde sie von einem russischen Zerstörer verfolgt.
Diese Begegnungen könnten in nächster Zeit noch zunehmen, denn während die NATO ihr seit 1971 stattfindendes BALTOPS-Seemanöver abhält, hat auch Russland kurzfristig eine große Übung seiner baltischen Flotte in der Ostsee gestartet. Noch vor einem Jahr hatte der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack, der russischen Marine auf See absolutes Normverhalten bescheinigt, bei dem eingespielte Verfahren beachtet würden.
Beim sogenannten Navy Talk der Marine Mitte Mai berichtete er dagegen von einem zunehmend aggressiven Verhalten der Russen und der "Gefahr einer Eskalation". Der Marineinspekteur will deshalb mehr Präsenz vor allem in der Ostsee. Im neuen 40-seitigen Leitbild "Kurs Marine" steht unmissverständlich: "Allen innerhalb der Marine muss klar sein: Ein 'Friedensbetrieb' gehört der Vergangenheit an."
Zustand der deutschen Marine
In dieser angespannten Lage hat Deutschland aktuell die kleinste Flotte in der Geschichte der Bundesrepublik. Auch für sie gilt wie für die gesamte Bundeswehr, bis 2029 soll sie verteidigungsbereit sein - auch wenn es bis dahin kaum neue Schiffe geben wird und sich Bauprojekte verzögern. So hakt es aktuell offenbar bei der Beschaffung der neuen 166 Meter langen Fregatten der Klasse F126. Sie sollen die bislang größten Kampfschiffe der deutschen Marine werden und wurden schon vor Jahren bei der Industrie bestellt.
Doch nach Angaben des SPD-Haushaltspolitikers Andreas Schwarz hat der niederländische Generalunternehmer derzeit Probleme, die zu Bauverzögerungen führen. Der ursprüngliche Auslieferungstermin 2028 für die erste von sechs bestellten Fregatten könnte deshalb nicht zu halten sein.
Da man in der Vergangenheit Schiffe ausgemustert und gleichzeitig zu wenig Neue angeschafft hat, ist der verbliebene Bestand zunehmend in die Jahre gekommen. Entsprechend hoch sind die Unterhaltskosten. In ihrem neuen Zielbild "Kurs Marine" fordern die Militärs deshalb, auch die Instandsetzung in den Werften zu beschleunigen. Denn traditionell ist ein Drittel der Flotte in Gefechtsbereitschaft, ein Drittel in der sogenannten abgestuften Bereitschaft und ein Drittel in der Instandsetzung. Künftig sollen aber Zweidrittel der deutschen Kriegsschiffe der Marine immer für Operationen zur Verfügung stehen.
Wehrbeauftragter fordert mehr Soldaten für Marine
Mittelfristig braucht sie aber mehr Schiffe und mehr Personal, denn die Anforderungen steigen. Das sagt auch der neue Wehrbeauftragte Henning Otte im Interview mit dem NDR: "Klar ist, die Schiffe müssen auch bedient werden. Und dafür brauchen wir auch ein Konzept von wechselnden Besatzungen für längere Aufträge. Und es zeigt sich, auch die Marine braucht mehr Soldatinnen und Soldaten."
Julian Pawlak ist Marine-Experte an der Universität der Bundeswehr Hamburg. Er fordert eine vorausschauende und langfristige Finanzierung, auch um die Marine als Arbeitgeber attraktiver zu machen. Aktuell befinde man sich in einer "Transitionsphase", denn auch auf See geht die technische Entwicklung rasend voran. Künftig werden unbemannte Schiffe und Drohnen eine viel größere Rolle spielen, sagt Pawlak: "Da befindet man sich gerade in einem Wandel, der auch eben dieses Personalproblem zum Teil - nicht komplett - auffangen kann. Verzögerungen bei der Beschaffung von Schiffen und der Personal- und Materialmangel bei der Marine werden kurzfristig nicht zu beheben sein."
Für den Marine-Experte Pawlak sollte sich die Marine deshalb vor allem auf die "Haus- und Hofgewässer" Nord- und Ostsee fokussieren. Ihr Schutz sollte für die deutsche Marine erstmal Priorität haben. Angesichts der erstmal weiter andauernden Personal- und Materialprobleme, aber auch wegen der ständigen Drohgebärden Russlands.