
Landesparteitag in Gera Worum es beim Machtkampf im BSW geht
Das Verhältnis zwischen BSW-Gründerin Wagenknecht und un der Thüringer Parteichefin Wolf ist seit Monaten angespannt. Der Landesparteitag könnte nun richtungsweisend werden - für Partei und Land.
In einem Jahr kann viel passieren. Am Abend des 14. März 2024 lud das BSW Thüringen zu einem Unterstützertreffen in die Erfurter Multifunktionsarena ein. Rund 500 Gäste waren gekommen, um vor allem den Auftritt von Sahra Wagenknecht zu sehen, die nicht nur ihre Vision des BSW vorstellte, sondern auch Werbung machte für ihre "Spitzenfrau" in Thüringen: Katja Wolf.
Einen Tag später gründete sich das BSW Thüringen ganz offiziell in Eisenach und offenbar hatte Wagenknechts Werbung Wirkung gezeigt: Von den damals 37 Parteimitgliedern stimmten 36 für Katja Wolf als Landesvorsitzende. Die Gründungsversammlung bestätigte außerdem den Politikneuling Steffen Schütz als Co-Landesvorsitzenden, der mit Wolf in langjähriger Freundschaft verbunden ist.
Vom Erfolgs-Duo zum Sündenbock
Seither haben Wolf und Schütz zusammen den größten (derzeit 122 Mitglieder) und bislang erfolgreichsten BSW-Landesverband in Deutschland aufgebaut. Im September bei der Landtagswahl holte das BSW 15,8 Prozent der Stimmen. Aus dem Stand wurde das BSW drittstärkste Kraft im Freistaat und damit auch Königsmacher für den neuen Ministerpräsidenten Mario Voigt (CDU).
In seiner sogenannten Brombeerregierung aus CDU, BSW und SPD stellt das Bündnis Sahra Wagenknecht drei Minister. Wolf ist Finanzministerin und Schütz leitet das Ministerium für Digitales und Infrastruktur.
Doch von dieser Erfolgsgeschichte ist im April 2025 wenig übriggeblieben. Am Donnerstag erklärte Schütz, dass er auf eine erneute Kandidatur als Landesvorsitzender beim Parteitag am Samstag in Gera verzichte. Die Partei brauche "neue Stabilität", so Schütz. An seiner Stelle soll der Musiker Gernot Süßmuth im Tandem mit Katja Wolf für den Parteivorsitz kandidieren - Ausgang ungewiss. Sollte Wolf in Gera abgewählt werden, bräuchte künftig wohl auch die Thüringer Regierung "neue Stabilität".
Für die plötzliche Instabilität im Thüringer BSW ist maßgeblich Sahra Wagenknecht und der knapp verpasste Einzug in den Bundestag verantwortlich. Am Tag nach Bundestagswahl suchte Wagenknecht die Schuld für das Scheitern des BSW unter anderem in Thüringen. Hier seien die wenigen Tausend Stimmen verloren gegangen, die die Partei vom Bundestag trennten. Tatsächlich schmolz die Zustimmung für das BSW in Thüringen von rund 191.000 Stimmen bei der Landtagswahl auf rund 125.000 bei der Bundestagswahl.
Obwohl Sahra Wagenknecht mit dieser Nachwahl-Analyse verkennt, dass zwischen den beiden Wahlen rund sechseinhalb Monate lagen und Wähler Politik auf Landes- und Bundesebene völlig unterschiedlich erleben können, hat sich das Narrativ von der verlorenen Wahl in Thüringen in der BSW-Bundesspitze längst durchgesetzt.
Machtkampf schwelt seit Oktober
Wagenknecht hat die Regierungsbeteiligung in Thüringen seit jeher kritisch gesehen. Schon während der Sondierungsgespräche im Oktober mischte sie sich immer wieder ein und forderte ein schärferes BSW-Profil. Auch für die Regierungsbildung formulierte Wagenknecht Bedingungen, die Wolf und Schütz über zwei Monate mühsam moderieren mussten. Die Presse schoss sich schon damals auf einen Machtkampf zwischen Wolf und Wagenknecht ein.
Denn es war vor allem Wolf, die fortwährend betonte, dass das BSW "Verantwortung für Thüringen" übernehmen müsse, um Neuwahlen zu verhindern. Am Ende lenkte Wagenknecht ein. Auf dem Dezember-Parteitag in Ilmenau warb sie selbst für den Koalitionsvertrag, während Wolf versuchte, die Gräben zwischen ihr und der Parteigründerin mit warmen Worten zuzuschütten. Rund drei Viertel der Thüringer BSW-Mitglieder stimmten für die Regierungsbeteiligung.
Es gibt ein Foto, das den Moment festhält, in dem das Abstimmungsergebnis in Ilmenau verkündet wurde. Es zeigt rechts im Bild Schütz mit weitaufgerissenen Augen - bereit zu applaudieren. Links im Bild hat Katja Wolf ihre Hände vor dem ausprustenden Mund wie zum Gebet gefaltet. Zwischen den beiden sitzt eine fast regungslose Wagenknecht mit hängenden Mundwinkeln.

Uneins bei der Regierungsverantwortung: Wolf, Wagenknecht und Schütz beim Parteitag in Ilmenau.
Besteht Gefahr für die Thüringer Regierung?
Auf dem Parteitag am Samstag in Gera kommt es nun erneut zum Machtkampf. Dieses Mal führt ihn Katja Wolf und Wagenknechts Stellvertreterin Anke Wirsing. Die Thüringer Landtagsabgeordnete hatte ihre Kandidatur Mitte April bekanntgegeben. Für Aufregung sorgte dabei, dass BSW-Generalsekretär Christian Leye unmittelbar Partei für Wirsing ergriff und erklärte, dass es im Thüringer BSW neue Impulse brauche. Sehr zum Missfallen von Wolf und Schütz.
Inzwischen hat auch Wagenknecht öffentlich erklärt, sich Wirsing als Landesvorsitzende in Thüringen zu wünschen. Dass die 44-Jährige gelernte Bauzeichnerin zusammen mit dem Kinderpsychologen Matthias Bickel als Doppelspitze kandidiert, findet in der medialen Berichterstattung wenig Beachtung. Wichtiger ist, dass Wirsing schon während der Regierungsbildung in Thüringen erklärte, nicht gegen den Bundesvorstand agieren zu wollen. Außerdem erklärte sie, im Falle einer Wahl Brücken nach Berlin bauen zu wollen.
Schon jetzt skizzieren verschiedene Medien deshalb eine aufziehende Regierungskrise in Thüringen. Sollte Wolf am Samstag abgewählt werden, könnte das die Brombeerkoalition grundlegend in Frage stellen, weil den handelnden BSW-Ministern dann die Rückendeckung der Partei fehle. Diese Gefahr sehen auch Wolf und Schütz. Während Schütz vor einer "Selbstverzwergung" des BSW in der Regierung warnte, sprach Wolf, von einer Eigendynamik, die entstehen könnte.
Allerdings gibt es dafür keinen Automatismus. Denn zum einen hat auch Anke Wirsing unlängst erklärt, die Brombeer-Regierung nicht in Frage stellen zu wollen. Zum anderen können Minister und Ministerpräsidenten auch ohne Parteivorsitz handlungsfähig sein: Bodo Ramelow regierte Thüringen zehn Jahre lang relativ geräuschlos ohne jemals Parteichef der Linkspartei gewesen zu sein, die Wagenknecht, Wolf und Wirsing verlassen haben.