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interview

Extremismusforscher "Die AfD ist die größte Gefahr für die Demokratie"

Stand: 02.05.2025 14:10 Uhr

Die Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" komme nicht überraschend, sagt Rechtsextremismusexperte Quent. Wie sich die Partei radikalisiert hat und warum ihre Normalisierung gefährlich ist, erklärt er im tagesschau24-Interview.

tagesschau24: An welchen Äußerungen der AfD lässt sich denn festmachen, dass es sich um eine rechtsextremistische Partei handelt? 

Quent: Es gab ja schon andere Gutachten in den vergangenen Jahren, die sich dem angenähert haben, auch in mehreren Bundesländern. Der mittlerweile aufgelöste Jugendverband "Junge Alternative" wurde bundesweit als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft.

Es dreht sich im Wesentlichen immer um drei Prinzipien: Das ist der Verstoß gegen das Menschenwürdeprinzip, das sieht man an abwertenden Äußerungen, an Verächtlichmachung, an Pauschalisierung insbesondere gegen Menschen mit Migrationshintergrund und gegen Muslima und Muslime. Es ist der Verstoß gegen das Demokratieprinzip, also die Verachtung des Staates und seiner Institutionen beispielsweise, und der Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip.

Matthias Quent
Zur Person
Matthias Quent ist Professor für Soziologie und Vorstandsvorsitzender des Instituts für demokratische Kultur an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Zuvor war er Gründungsdirektor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena.

Das, was jetzt besonders betont wurde, ist dieser völkische Nationalismus - also die Vorstellung, dass Zugehörigkeit zu Deutschland nur aufgrund von ethnischer Abstammung hergestellt werden kann. Das ist das, wofür der Rechtsextremismus in der Tradition des Nationalsozialismus steht - und das ist der zentrale Aspekt.

Man könnte aber auch über weitere antidemokratische, verfassungswidrige Elemente reden, auch im AfD-Parteiprogramm zu den Bundestagswahlen. Wenn man beispielsweise den Klimawandel leugnet, dann wird man nicht das Verfassungsziel der Klimaneutralität oder auch schon vorher des Umwelt- und Klimaschutzes gemäß des Urteils von 2021 erreichen.

Das heißt also, es geht nicht nur um einzelne Äußerungen, sondern es geht darum, dass, wenn die Politik der AfD umgesetzt werden würde, dann wäre das ein anderer Staat. Ein anderes System, das nicht mit dem vereinbar ist, was an Werten, an Vorgaben, an Zielen und an Regeln im Grundgesetz vereinbart ist.

"Ein Gravitationszentrum des Rechtsextremismus"

tagesschau24: Für wie gefährlich halten Sie die AfD? 

Quent: Die AfD ist die größte Gefahr für die Demokratie, auch für den inneren Frieden in Deutschland. Daran besteht kein Zweifel. Das ist nicht erst seit gestern so.

Es gibt eine Aufstachelung, eine systematische Radikalisierung auch von Menschen, die vielleicht erst über sogenannte Protestmotive dorthin gekommen sind - in ein Gravitationsfeld, in den sozialen Medien, wo eine ständige Angstmache betrieben wird, eine Untergangsstimmung verbreitet wird mit der Aussage "Die AfD ist die letzte Chance, die Deutschland noch retten kann".

Das ist für die Demokratie, das ist übrigens auch für die Entwicklung von Wählerinnen und Wählern, von jungen Menschen, eine Gefahr und Herausforderung. Wir sehen, dass insbesondere Migranten und Migrantinnen Angst haben. Es gibt Studien, die zeigen, dass durchaus ein großer Teil von Migrantinnen und Migranten sagen, sie werden Deutschland oder ein Bundesland verlassen, in dem die AfD an die Macht kommt.

In Zeiten des demografischen Wandels ist das also nicht nur ein normatives Problem, ein Angriff auf Menschenwürde. Wir reden auch über die Zukunftsfähigkeit - die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit, die ökologische Zukunftsfähigkeit, den inneren Frieden in einer polarisierten Gesellschaft.

Und das betrifft nicht im gleichen Maße alle Mitglieder, alle Wählerinnen, alle Unterstützer der Partei. Aber diese Partei hat sich zu einem Gravitationszentrum des Rechtsextremismus entwickelt, das diese Polarisierung und auch diese Radikalisierung immer weiter vorangetrieben hat über die vergangenen mindestens zehn Jahre.

"2015/16 war ein entscheidender Kipppunkt"

tagesschau24: Die AfD startete ja einmal als eurokritische Partei. Wie hat sie sich denn bis zu dem jetzigen Zeitpunkt so radikalisiert? 

Quent: Ja, die AfD startete nicht als eine rechtsextreme Partei, aber schon damals waren Leute wie Björn Höcke und andere in dieser Partei dabei und haben planmäßig unter strategischer Beratung der sogenannten Neuen Rechten, also intellektueller strategischer Zirkel, die Radikalisierung der Partei befördert.

Die große Migrationsbewegung 2015/16 war ein entscheidender Kipppunkt. Damals hat sich der völkische "Flügel" gegründet, der dann später immer mehr Macht gewonnen hat, sich formal aufgelöst hat, aber wichtige Schlüsselposition in der Partei übernommen hat.

Das Entscheidende ist, dass dieser populistische Geist, dieser Empörungskonservatismus, der da mitgeschwungen ist und in Teilen auch noch mitschwingt, keine eigenen politischen Antworten hat - außer dagegen zu sein. Aber diese Ideologie, die rechtsextremistische Ideologie, die gezielt in die Partei getragen wurde, die hat politische Angebote, politische Lösungen, und so wurde letztlich diese Lücke, die die Empörung, der Populismus, das Zerstören von Vertrauen hinterlassen hat, mit einer knallharten zukunftsgerichteten, aber eben rechtsextremistischen Ideologie ersetzt.

Und das kann man im Teilen auch bei der Wählerschaft rekonstruieren, die diesen Weg der Radikalisierung zumindest in Teilen mitgegangen ist, ohne dabei abzunehmen oder kleiner zu werden. Im Gegenteil, sie ist immer größer geworden durch die Krisen der vergangenen Jahre.

"Für Niemand eine überraschende Entscheidung", Matthias Quent, Rechtsextremismusforscher, zur Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz

tagesschau24, 02.05.2025 11:00 Uhr

Nicht mehr über "den verfassungswidrigen Kern" diskutiert

tagesschau24: Immer größer geworden ist auch in Umfragen der Anteil der AfD - trotz der Warnungen vor Rechtsextremismus. Wie erklären Sie sich das? 

Quent: Es hat etwas damit zu tun, dass wir in den vergangenen Jahren und Monaten nicht mehr im Vordergrund darüber diskutiert haben, was an der AfD problematisch ist - nämlich dieser völkisch nationalistische, rassistische Kern. Das ist das, was demokratiepolitisch nicht mit unserer Gesellschaftsordnung vereinbar ist.

Viele andere Positionen, die die AfD vertritt, sind demokratiepolitisch legitim. Die kann man ablehnen, die kann man unappetitlich finden, die kann man völlig falsch oder auch idiotisch finden, sie sind aber grundgesetzlich geschützt.

Darüber haben wir aber kaum noch gesprochen, sondern die öffentliche Debatte hat sich gedreht, um Tagespolitik, um eine schrittweise Normalisierung dieser rechtsextremistischen Position. Sicher, es gab große Proteste, es gab eine auch immer wieder kritische Dokumentation und Kommentierung in den Medien. Aber die große politische Debatte ist eigentlich davon weggekommen, was der verfassungswidrige Kern der AfD ist.

Normalisierung in der "Zangenbewegung"

Damit konnte sie sich mehr und mehr normalisieren - übrigens auch durch die lokale kommunale Verankerung in den Regionen. Auf der konkreten lokalen Ebene spielen die völkischen Strategien in der Regel keine große Rolle. Da geht es um Alltagsfragen. Da geht es darum, dass die AfD besonders bürgernah ist - das ist sie tatsächlich. Sie ist stark anwesend, stark verankert.

Und dann haben Menschen den Eindruck: "Ich weiß gar nicht, was die eigentlich meinen, wenn sie immer von rechtsextremistisch, verfassungsfeindlich sprechen. Der Nachbar, der da im Stadtrat sitzt, der ist doch ganz nett, und der hat in vielen Dingen Recht." In dieser Zangenbewegung hat sich die AfD immer weiter normalisieren können.

Auftrag an die Zivilgesellschaft und Medien

tagesschau24: Was bedeutet die Einstufung jetzt für die AfD? Muss sie sich neu aufstellen? 

Quent: Die AfD hat darauf gewartet. Sie hat erwartet, dass das passiert. Das ist für niemanden, der sich mit der Materie beschäftigt, eine überraschende Entscheidung, die jetzt aus diesem umfassenden Gutachten hervorgeht.

Die AfD hat sich trotzdem immer weiter radikalisiert, weil es für sie ja erfolgreich gewesen ist. Und das ist übrigens auch das Ziel dieses radikalen "Flügels", der will, dass das Vertrauen in die Behörden, in den Verfassungsschutz, in den Staat vollkommen zerstört wird und dass man in eine absolute Systemopposition überwechselt.

Es mag Konsequenzen geben für AfD-Funktionäre, die im öffentlichen Dienst tätig sind. Die AfD wird vermutlich gerichtlich dagegen vorgehen. Das ist ihr gutes Recht. Aber zunächst wird es politisch für die AfD keinen großen Unterschied machen.

Der zentrale Unterschied ist, wie alle anderen mit der AfD umgehen - und damit sind nicht nur die Parteien im Bundestag und in den Landesparlamenten gemeint. Damit ist auch gemeint, dass zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer, die sich mit rechtsextremen Positionen auseinandersetzen müssen, jetzt auch eine noch sicherere Argumentationsgrundlage im Umgang mit der AfD haben.

Das heißt, mit dieser Information der Öffentlichkeit ist auch ein Auftrag an die Zivilgesellschaft und auch an die Medien verbunden, diesem Fakt des Rechtsextremismus der AfD nicht aus dem Weg zu gehen. 

Das Gespräch führte Ralph Baudach. Es wurde für die schriftliche Version redigiert und gekürzt.

Einstufung der AfD als rechtsextrem stößt in Karlsruhe-Oberreut auf gemischte Reaktionen

L. Bisch/W. Hörter, SWR, tagesschau, 02.05.2025 17:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 02. Mai 2025 um 15:00 Uhr.