
Debatte in Österreich Erste Rufe nach einem schärferen Waffengesetz
Nach dem Amoklauf mit zehn Toten herrscht in Österreich Trauer. Doch es werden auch erste Rufe nach einem schärferen Waffengesetz laut. Denn der 21-Jährige besaß Pistole und Schrotflinte ganz legal.
Drei Tage Staatstrauer, drei Tage lang hängen die Flaggen in Österreich auf Halbmast. Drei stille, nachdenkliche Tage, für die sich Österreichs Politiker eine Politik-Pause verordnet haben, an die sich eigentlich alle halten. Auch die üblichen Verdächtigen. Keine populistischen Forderungen nach "Anlass-Gesetzgebung", wie wir das kennen - vor allem aus Deutschland: Etwas Schreckliches passiert und alle rufen reflexartig nach schärferen Gesetzen.
Der Anlass in Österreich ist erschreckend genug: zehn Todesopfer - junge Menschen zwischen 14 und 19, eine Lehrerin - an einem Gymnasium in Graz. Erschossen von einem 21-Jährigen, der ganz legal eine Schrotflinte und eine Pistole besaß.
Van der Bellen thematisiert Waffengesetz
Die populäre Grazer KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr forderte ein Waffenverbot, aber eher leise. Der Appell an den Zusammenhalt in ihrer Stadt lag ihr deutlich hörbar mehr am Herzen. Aber jetzt hat sie einen noch deutlich populäreren Mitstreiter. Einen, der eben noch sagte, der "Horror" von Graz sei "nicht in Worte zu fassen". Jetzt hat er Worte gefunden - Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
Erst zündet er eine Kerze an der Schulpforte an. Dann folgen tröstende Worte an die trauernde Gemeinde, gütig im Ton. Plötzlich, hörbar schärfer: "Wenn wir zum Schluss kommen, dass das Waffengesetz geändert werden muss, dann werden wir das auch tun." Pause - die einzige Stelle, an der der Bundespräsident Zwischenapplaus bekommt.
Warum durfte der Schütze Waffen haben?
Das ist eine Botschaft an die Politik: sich nach der Pause des Trauerns zu kümmern, beispielsweise um die Frage, ob es richtig ist und Gesetz bleiben darf, dass ein 21-Jähriger so einfach an todbringende Waffen kommen kann: an ein Schrotgewehr und eine Pistole.
Warum durfte er die haben? Mit dieser Frage ist Van der Bellen nicht mehr allein. Die Antwort ist schlicht, aber im Moment für viele in Österreich schwer erträglich: Weil es das österreichische Waffengesetz erlaubt. Man muss nur volljährig sein, 18 Jahre alt, EU-Bürger, mit Wohnsitz in Österreich - dann kann man eine Schrotflinte ganz einfach kaufen. Der Händler muss prüfen, ob ein Waffenverbot vorliegt, private Verkäufer müssen nicht mal das. Man muss das Gewehr registrieren lassen und immerhin drei Tage warten, bis man es abholen darf. Als wäre ein Schrotgewehr ein fast normaler Haushaltsgegenstand in der Alpenrepublik.
Psychologisches Gutachten vom Waffenhändler
Das findet sogar einer wie Markus Schwaiger etwas verharmlosend. Schwaiger ist Waffenhändler in Wien, sein Laden läuft. Er weiß, was er da verkauft. Was die tödliche Wirkung angehe, sei eine Schrotflinte noch schlimmer als eine Pistole - weil sie, aus der Nähe abgedrückt, große Löcher reißt. Mit der Schrotflinte hat der Amokschütze versucht, Türschlösser aufzuschießen, berichten Augenzeugen. Er hatte aber auch noch eine Pistole, ganz legal - nicht ganz so einfach zu bekommen.
21 Jahre ist das Mindestalter, und man braucht eine "Waffenbesitzkarte". Die gibt es nur mit einem "Waffenführerschein", das heißt, man muss unter Aufsicht lernen, mit der Waffe umzugehen und - das kam irgendwann hinzu - es braucht ein psychologisches Gutachten. Gibt es beides im Paket beim Waffenhändler, für 339 Euro.
"Jetzt ist einer durchgeschlüpft"
Schwaiger hält das für wirksame Hürden: Das habe immer funktioniert, nur bei dem Amokläufer in Graz nicht. Ein "Super-GAU", aus seiner Sicht. Verbrechen, sagt er, werden meist mit illegalen Waffen begangen. Da helfe auch kein schärferes Waffenrecht. Aber jetzt sei einer durchgeschlüpft. Der Todesschütze müsse großes schauspielerisches Talent gehabt haben, um den Psychotest zu bestehen. Potenzielle Amokläufer, so Schwaiger, müssten doch auffallen, weil sozial sicher auffällig. Er habe auch jede Woche mindestens einen im Laden, dem er keine Waffe verkaufen würde, weil er auf den ersten Blick sehe, dass "der nicht ganz dicht" sei.
Die Statistik stützt diese Lebenserfahrung nicht ganz. Zwar ist der Fragebogen eine Hürde, ein Kreuzerl-Test, aber eben auch ein tiefergreifendes psychologisches Gespräch. Bei Zweifeln kommen Nach-Tests dazu. Fällt der Waffen-Interessent durch, muss die Behörde informiert werden. Die Folge: sechs Monate Sperrfrist. Dreimal durchgefallen heißt: zehn Jahre Sperrfrist.
Wer kontrolliert an der Haustür?
Das klingt knackig. Die Zeitung Standard berichtet allerdings von einer Durchfallquote von nur fünf Prozent. Klingt schon anders. Dazu hat das Gesetz versteckte Lücken. Der Grazer Todesschütze durfte die Pistole zwar haben, aber nur zu Hause, zur Selbstverteidigung. Er hätte sie nicht nach draußen mitnehmen dürfen - steht da. Dazu hätte er einen "Waffenpass" gebraucht, nicht nur eine "Waffenbesitzkarte". Diese Lizenz zum Pistolen tragen in der Öffentlichkeit bekommt aber in Österreich kaum jemand.
Ein Widerspruch, den Eva Erlacher, Rechtsanwältin und Expertin für österreichisches Waffenrecht, wenig beruhigend auf den Punkt bringt: Waffen in der Öffentlichkeit, das sei in Österreich schon recht streng geregelt - bei Waffen in den eigenen vier Wänden sei man aber ziemlich liberal. Wer kontrolliert an der Haustür? Das alles bei stetig anschwellendem Waffenbesitz in Österreich.
Aktuell sind 1.518.873 legale Schusswaffen im Zentralen Waffenregister/ZWR in Österreich registriert, bei knapp neun Millionen Einwohnern. Relativ gesehen sind sie in Österreichs Nachbarschaft nur in Montenegro, Serbien und Bosnien und Herzegowina schwerer bewaffnet, sagt eine Studie des Rechercheprojekts "Small Arms Survey". Das sind aber Zahlen von 2018. Seitdem ging auch bei Markus Schwaiger noch einiges über den Ladentisch. Und das ganz legal.