Das ausgebrannte oberste Stockwerk eines Fluegels der Deutschen Botschaft in Stockholm (Luftaufnahme, Archivbild vom 25.4.1975)

Attentat auf Botschaft 1975 Als der RAF-Terror den Vater nahm

Stand: 24.04.2025 10:05 Uhr

Viveka Hillegaart war 17 Jahre alt, als RAF-Terroristen in der deutschen Botschaft in Stockholm Geiseln nahmen. Ihr Vater zählt zu den Opfern. Auch 50 Jahre nach dem Attentat sind die Erinnerungen schmerzhaft.

Am 24. April 1975 fährt die damals 17-jährige Viveka Hillegaart mit dem Fahrrad in ihre schwedische Schule. Es ist ein Donnerstag. Ihr Vater, der Wirtschaftsattaché Heinz Hillegaart, geht zur Arbeit in die deutsche Botschaft in Stockholm.

Kurz vor der Mittagspause stehen plötzlich RAF-Mitglieder des sogenannten "Kommando Holger Meins" in der Botschaft. "Um 11:50 Uhr waren die Terroristen mit Maschinenpistolen in das Botschaftsgebäude eingedrungen. Wenig später hörte man Schüsse. Im dritten Stock verbarrikadierten sich die Terroristen mit ihren Geiseln", erinnert sich Hillegaart an diesen Tag.

Die Forderung lautet: Freilassung aller 26 inhaftierten RAF-Mitglieder, darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Die Bundesregierung unter dem damaligen Kanzler Helmut Schmidt lehnt ab.

Der Vater wird das zweite Opfer der Terroristen

Gegen frühen Nachmittag erschießen die Terroristen zunächst den Militärattaché Andreas von Mirbach. Bruchstückhaft erinnert sich Viveka Hillegaart an diesen Tag. Wie sie aus der Schule kommt und von der Geiselnahme erfährt. Ihr Vater ist das zweite Opfer der Terroristen, er wird am späten Abend getötet.

"Und man hat natürlich immer dieses Bild vor Augen, das kennen Sie vielleicht - wo jemand am Fenster steht, und das ist wahrscheinlich unser Vater", erzählt die Tochter weiter. Später sei ein Amulett des Vaters gefunden worden und eine Uhr. "Man konnte ihn identifizieren. Und es gab ja keinen anderen, der vermisst war. Die Wahrheit kam dann näher auf einen zu."

Keinerlei Betreuung für die Angehörigen und Opfer

Nach vielen Stunden Verhandlungen kommt es in der Nacht zu einer Explosion des von den Terroristen deponierten Sprengstoffs. Warum das passierte, ist bis heute unklar. Im Chaos können die überlebenden Geiseln fliehen.

Viveka Hillegaart erzählt, dass es für die Opfer damals keinerlei psychologische Betreuung gibt. Die Familie muss den Verlust des Vaters allein verarbeiten. Die vielen offiziellen Trauerfeiern in Schweden und Deutschland direkt nach dem Attentat hätten sie wie Schauspieler über sich ergehen lassen. "Das war wie so eine Theatervorstellung oder so. Im Kopf selbst ist natürlich was anderes, oder gar nichts passiert, weil keine Verarbeitung so direkt möglich war. Das war direkt im Anschluss von dem Überfall." Es sei eine schreckliche Situation gewesen, "mit der keiner von uns umgehen konnte".

Vier RAF-Terroristen zu lebenslanger Haft verurteilt

Vier RAF-Terroristen werden später zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Alle sind inzwischen freigelassen, leben teilweise zurückgezogen, teilweise treten sie öffentlich in Erscheinung. Viveka Hillegaart erinnert sich, dass das in ihrer Familie diskutiert wurde. "Die waren ja dann 25 Jahre in Haft gewesen. Und ich persönlich denke, was passiert nach 25 Jahren?" Aus ihrer Sicht sei es richtig gewesen, "die zu entlassen".

Heute - am 50. Todestag ihres Vaters - ist sie als Gast bei einer Gedenkveranstaltung in der deutschen Botschaft in Stockholm. Sie hat eine klare Haltung zu jeglicher Form von Terrorismus.

Ich persönlich finde, man kann ja andere Ansichten haben, aber man kann nicht so weit gehen, dass man Leute umbringt. Das gehört einfach nicht in den Rechtsstaat.

Auch wenn die Tat heute schon eher ein Teil deutscher Geschichte ist - vergessen können sie nicht, was damals passiert ist. Doch die Familie habe gelernt, damit zu leben.

Sofie Donges, Sofie Donges, ARD Stockholm, tagesschau, 24.04.2025 08:55 Uhr