
Nach Erdbeben in der Türkei Weitere Nachbeben erschüttern Istanbul
Nach dem gestrigen Erdbeben ist es in Istanbul auch am Morgen zu Nachbeben gekommen, darunter eines der Stärke 4,6. Experten warnen vor weiteren möglichen Beben. Viele Menschen übernachteten im Freien, andere verließen die Stadt.
Die Erdbebenserie in der türkischen Metropole Istanbul reißt nicht ab. Der Katastrophendienst Afad meldete am Morgen weitere Nachbeben, das bisher stärkste darunter mit der Stärke 4,6.
Schon gestern hatte in Istanbul die Erde mehrfach gebebt - kurz vor 13 Uhr Ortszeit registrierte Afad das bislang stärkste Beben der Stärke 6,2. Das Epizentrum war im vor der Stadt gelegenen Marmarameer. Insgesamt verzeichnete Afad seitdem gut 300 weitere Beben - alle entlang der tektonischen Gräben im Marmarameer.

Verletzungen bei Sprüngen aus Gebäuden
Nach Angaben von Gesundheitsminister Kemal Memişoğl auf der Plattform X gab es insgesamt 236 Verletzte - davon 173 in Istanbul, die übrigen in anderen Provinzen. Ihm zufolge wurden 15 Menschen noch in Krankenhäusern behandelt.
Manche der Betroffenen hätten sich bei dem Versuch verletzt, sich mit Sprüngen aus Gebäuden in Sicherheit zu bringen. Laut dem Istanbuler Gouverneursamt gab es zunächst keine Berichte über eingestürzte Häuser. Zwölf Gebäude seien vorsorglich evakuiert worden.
Experten warnen vor weiteren möglichen Beben
Die Türkei liegt in einer der seismisch aktivsten Gegenden der Welt. Mehr als eine Million Gebäude in Istanbul gelten als nicht erdbebensicher. Afad warnt vor dem Betreten gefährdeter Gebäude. "Aufgrund der Nachbeben, die nach dem Hauptbeben anhalten, ist es wahrscheinlich, dass Erdbeben bis zu einer bestimmten Stärke für eine gewisse Zeit auftreten werden", hieß es.
Wissenschaftler halten weitere Nachbeben ebenfalls für möglich. "Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es zwei Szenarien: Entweder ist die unmittelbare Region nun vorerst entspannt und die Seismizität klingt langsam ab, oder die durch das Beben erzeugten Spannungsumlagerungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit für ein größeres Erdbeben in der Region", sagte Marco Bohnhoff vom Potsdamer Helmholtz-Zentrum für Geoforschung. Man beobachte die Vorgänge sehr genau.
Beben führen zu Stadtflucht aus Istanbul
Für Menschen, die sich nach dem großen Erdbeben gestern nicht trauten, über Nacht in ihre Wohnungen zurückzukehren, öffnete das Istanbuler Gouverneursamt Schulen, Moscheen und Sporthallen. Zahlreiche Einwohnerinnen und Einwohner verbrachten die Nacht auch im Freien und schlugen etwa in Parks oder auf anderen Grünflächen Zelte auf, wie türkische Medien berichteten.
Zudem verließen etliche Menschen Istanbul, um in anderen Regionen der Türkei Schutz zu suchen. Die Hotels entlang der türkischen Ägäisküste registrierten einen deutlichen Anstieg der Hotelbuchungen. Tickets für Inlandsflüge waren am Abend des Bebens und auch am Donnerstag nicht mehr zu erhalten, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtete. Auf den Websites der Fluglinien seien alle Flüge ausgebucht gewesen.
Geologe: Zeit gekommen, Istanbul zu verlassen
Über die Frage, was mit Blick auf ein weiter drohendes größeres Erdbeben zu tun sei, sagte der Geologe Celâl Şengör von der Technischen Universität Istanbul in einem Interview, es sei zunächst bedenkenlos möglich, in Häuser ohne offensichtliche Schäden zurückzukehren. Langfristig gesehen aber sei nun "der Zeitpunkt erreicht, Istanbul zu verlassen".
Şengör zog mit dieser Aussage umgehend Kritik von der regierenden AKP auf sich. Ein Chefberater von Präsident Recep Tayyip Erdoğan nannte Şengör nach dessen Aussage in einem Beitrag auf X einen "Idioten".