Nigel Farage

Kommunalwahlen in England Farage treibt Labour und Tories vor sich her

Stand: 01.05.2025 02:53 Uhr

Bei den Kommunalwahlen in England drohen den Tories und Labour herbe Verluste. Die Rechtsaußen-Partei Reform UK steht dagegen in Umfragen glänzend da. Parteichef Farage gräbt mit einer sozialkonservativen Agenda Wähler ab.

Im pittoresken Grantham wuchs einst die konservative Premierministerin Margaret Thatcher auf. Und konservativ haben die Engländer hier auch klassischerweise gewählt. Doch vor der anstehenden Kommunalwahl ist die Stimmung anders. Der Anwohner Michael Groves sagt: "Die Leute haben das Gefühl, die Politik lasse sie im Stich. Konservative Wähler sind unzufrieden mit den Tories, Labour-Wähler mit der Labour-Regierung." Einige wollten diesmal aus Protest ihr Kreuz woanders setzen, meint er. Einige bei der Rechtsaußen-Partei Reform UK. 

Tories sind in Umfragen abgeschlagen

Zwar gehen die Engländer am 1. Mai nicht in allen Kommunen zur Urne, es sind nur etwa ein Drittel der Wahlberechtigten aufgerufen. Doch die größte Oppositionspartei könnte eine herbe Niederlage einstecken. Die Tories haben mit fast 1.000 Sitzen die meisten zu verteidigen. Bis zu 500 davon könnten sie verlieren, schätzen Experten.

Überraschend käme das nicht. Nach zahlreichen Skandalen, dem Brexit-Fiasko und einer anhaltenden Lebenshaltungskostenkrise hatten die Tories schon bei der Parlamentswahl vergangenen Sommer eine historische Klatsche kassiert. Seitdem ist die älteste britische Partei in den Umfragen hinter Labour und Reform abgesackt. "Die neue Parteichefin Kemi Badenoch ist nicht besonders sichtbar und hat kaum Akzente gesetzt", sagt Politologin Sara Hobolt von der London School of Economics (LSE). "Nigel Farage, der Chef von Reform UK, ist deutlich besser darin, die Schlagzeilen zu bestimmen."

Die Rechtsaußen-Partei um den Brexit-Treiber Farage ist stark in den sozialen Netzwerken präsent. Sie vermeldet Mitgliederzuwächse, mit denen sie die Konservative Partei numerisch überholt haben will. Laut Meinungsforschungsinstitut Yougov liegt Reform UK bei der Sonntagsfrage mit 26 Prozent sogar noch drei Prozentpunkte vor der Regierungspartei Labour. Mit Kulturkampfthemen, Kritik an Klimapolitik und Migration greift sie sozialkonservative Trends auf, ist aber gleichzeitig bemüht, sich nicht zu weit rechtsaußen zu positionieren.

Vorlauf für die nächste Parlamentswahl

"Reform UK ist die wahre Opposition", verkündete Farage im Dezember - auch wenn sie im Parlament in London derzeit mit nur vier Sitzen vertreten ist. Bei der Kommunalwahl jedoch könnte sie laut Meinungsforscher Robert Hayward bis zu 450 Sitze in den Räten gewinnen und von dort ihre Wahlkampfmaschine für die nächste Parlamentswahl 2029 ölen.

Kommentatoren sprechen deshalb von einem bedeutenden politischen Event. So auch Politologe Tony Travers von der LSE: "Labour und Conservatives haben die britische Politik seit 1945 dominiert und als einzige Parteien Premierminister gestellt. Es scheint, als seien wir nun an einem Punkt, wo eine dieser Parteien, die Konservativen, von einer neuen Partei, Reform UK, umzingelt werden könnte."

Aus den Reihen der Tories wird schon vereinzelt von einer Koalition mit Reform UK gesprochen, um 2029 an die Macht zu kommen. Zumindest regionale Bündnisse mit der Rechtsaußen-Partei hat Tory-Chefin Badenoch nicht ausgeschlossen. "Viele der neuen Reform-Mitglieder sind übergelaufene Konservative. Wahrscheinlich haben sie ohnehin schon einmal zusammengearbeitet. Entscheidungen über Zusammenarbeit müssen sie selbst treffen", sagte Badenoch im BBC-Fernsehen.

Reform UK setzt auf linke Wirtschaftspolitik

Reform UK scheint derweil stark daran interessiert, auch Labour die Wähler abzugraben. Parteichef Farage nahm zuletzt einige klassisch linke wirtschaftliche Positionen ein. Er forderte etwa die Verstaatlichung des britischen Stahlherstellers British Steel. Besonderes Augenmerk richten die Engländer nun auf Runcorn im Norden, eine Industriestadt in der "Red Wall", einer Labour Hochburg.

Hier steht am 1. Mai eine Nachwahl an, nachdem der Parlamentsabgeordnete Mike Amesbury wegen Körperverletzung seinen Posten verlor. Letzten Sommer war er mit 53 Prozent gewählt worden. Nun hat Reform UK Chancen auf den Sitz. Es zeichnet sich ein enges Rennen ab. Gewänne Reform UK tatsächlich in einer Labour-Hochburg einen Westminster-Sitz, wäre das für Premier Keir Starmer mehr als ärgerlich.

Von Aufbruch ist wenig spürbar

Es hing weniger mit der Überzeugung der Wähler zusammen als mit dem britischen Wahlsystem, dass seine Partei als großer Sieger der vergangenen Parlamentswahl hervorging. Labours Amtszeit begann zudem mit einem Korruptionsskandal, schlechter Kommunikation und zog sich fort mit unbeliebten Haushaltsentscheidungen, als etwa Rentnern die Heizkostenzuschüsse im Winter gestrichen wurden.

Auch, wenn Starmer mit seiner entschlossenen Verteidigungspolitik punkten kann: Vom erhofften Aufbruch, den er versprochen hatte, ist im Alltag wenig spürbar. Nun treibe Farage Premier Starmer vor sich her, schreibt die Financial Times. Labour bezog zuletzt einige rechtere Positionen als sonst, wenn es etwa um Genderpolitik ging, das Streichen von ausländischen Hilfsgeldern oder das Beschneiden von Sozialausgaben.

Ende des traditionellen Zweikampfes

Wegen des britischen Mehrheitswahlrechts lässt sich schlecht vorhersagen, in wie viele Sitze sich die Meinungsumfragen bei der Kommunalwahl wirklich übersetzen lassen. Klar ist jedoch: Großbritannien entwickelt sich immer weiter hin zu einem Mehrparteiensystem. Dort spielen neben Labour und den Konservativen auch die Liberaldemokraten und die Grünen eine immer wichtigere Rolle.

Auch sie dürften nach Expertenmeinungen ordentliche Zugewinne machen. "Wir sehen diesmal fünf ernste Konkurrenten in einem Wahlkampf, das hat es so noch nicht gegeben", sagt Politikwissenschaftler John Curtice von der Strathclyde Universität.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 01. Mai 2025 um 07:17 Uhr.