
Initiative in Israel Holocaust-Gedenken im Wohnzimmer der Überlebenden
Die israelische Initiative Zikaron BaSalon - Erinnerungen im Wohnzimmer - will Zeugnisse von Holocaust-Überlebenden auch 80 Jahre nach Kriegsende lebendig halten. Dabei laden Überlebende zu sich nach Hause ein.
Nur kurz bedankt sich Rena Quint für den Blumenstrauß, wichtiger ist ihr, dass es ihren Gästen gut geht. Ob jemand Kaffee oder Tee wünscht, fragt sie in die Runde. Und meint, jeder solle sich selber bedienen.
Quint ist 89 Jahre alt und sitzt in ihrem Wohnzimmer in einem Rollstuhl. Die Wände sind voller Fotos. Geburtstagsfeiern, Hochzeiten, immer wieder Babybilder ihrer Enkel und Urenkel. Hillary Clinton traf sie, Joe Biden, Ariel Scharon, Teddy Kollek, den legendären Bürgermeister von Jerusalem. Es sind Bilder aus ihrem Leben.
Ein Leben, das sie bei diesem Zikaron BaSalon - dem Erinnern im Wohnzimmer - ihren Gästen näherbringen möchte. Ein Leben, das sie auf einen kurzen Nenner bringt: "Ich hatte eine fürchterliche Kindheit, bis ich zehn war und ein wundervolles Leben."
"Ab sofort bist du kein Mädchen mehr"
Diese fürchterliche Kindheit beginnt für Frajda Lichtensztajn, wie Rena Quint damals hieß, im Ghetto der polnischen Stadt Piotrkow mit sechs Jahren. Nazischergen treiben sie und ihre Mutter auf den Marktplatz, von wo aus sie deportiert werden sollen.
Ihre Mutter gibt ihr einen Schubs, sie versteckt sich in einer Synagoge. Dann flieht sie zum Vater, der als Zwangsarbeiter in einer Glashütte arbeitet. Eigentlich dürfen dort nur Männer und Jugendliche ab zehn Jahren sein.
Rena Quint erinnert sich an die Worte des Vaters: "Ab sofort musst du eines wissen: Du bist kein Mädchen mehr, sondern ein Junge. Und du bist nicht mehr sechs Jahre alt sondern zehn. Und dein Name ist nicht mehr Frajda sondern Froyim. Sag es Dir immer wieder: Du bist ein zehnjähriger Junge und heißt Froyim."
Von der Glashütte ins Konzentrationslager
Als Junge schuftet sie in der Glashütte, bis auch die letzten Juden aus Piotrkow deportiert werden. Ihr Vater drückt Rena einer Frau in die Arme. Es wird ihre zweite Mutter. In einem Viehwagon geht es ins Konzentrationslager Bergen-Belsen.
"Jeden Tag starben dort Hunderte. Sie verhungerten, sie starben an Krankheiten, sie erfroren. Sie starben an irgendetwas. Und wohin man auch ging - dieser Geruch, der Geruch des Todes." Auch ihre neue Mutter stirbt dort.
Eine Tochter vieler Mütter
Als das Konzentrationslager 1945 befreit wird, liegt Rena zwischen Leichenbergen. Sie ist schwer an Typhus und Diphterie erkrankt. Doch sie überlebt und wird nach Schweden geschickt, wo sie von einer neuen Mutter angenommen wird.
Mit ihr reist Fanny - wie sie jetzt heißt - in die USA. Doch die Frau stirbt. Ein kinderloses Paar aus Brooklyn adoptiert das Mädchen, das nun seinen endgültigen Namen Rena Quint bekommt.
Sie ist die Tochter vieler Mütter, sagt die 89-jährige Frau und lächelt verschmitzt. "Jedes Mal, wenn eine meiner Mütter getötet wurde oder starb, bekam ich eine neue Mutter. Wenn die eine nicht mehr da war, kam eine neue, und so ging es weiter."
"Man kann nicht mit einem solchen Hass leben"
Seit 1989 lebt Quint mit ihrer eigenen Familie in Israel. Ihr Leben anderen, jüngeren zu erzählen, ist jetzt ihre Lebensaufgabe. Ein Leben, das die Nazis fast ausgelöscht hätten, was ihr Verhältnis zu Deutschland bis heute prägt.
"Deutschland war unser Feind, aber jetzt ist Deutschland einer unserer besten Freunde." Deutschland habe Israel sehr unterstützt, das erkenne sie an, sagt Rena Quint. "Aber vergebe ich ihnen? Nein. Vergesse ich, was geschehen ist? Hoffentlich nicht. Aber man muss weiterleben. Und man kann nicht mit einem solchen Hass leben."